Aus der Hölle zurück
Häftlingen mit der verächtlichen Bezeichnung »Zugang« bedacht wurden. So als ob es eine Schuld sei, daß sie später ins Lager gekommen waren. Vielleicht war es versteckter Neid darüber, daß die anderen länger die Freiheit und die Freuden des Lebens hatten genießen können. Das Lager verhieß zu dieser Zeit niemandem ein langes Leben. Viele der Neuzugänge hatten aber schon monatelang in den verschiedensten Gefängnissen gesessen und dort ebenfalls kein leichtes Leben gehabt. Schließlich war jeder Häftling irgendwann einmal ein Zugang.
Der Zufall wollte es, daß ich eines Tages beim Antreten zur Arbeit in der Reihe der in weißes Drillichzeug mit roten Streifen auf dem Rücken und an den Hosenbeinen gekleideten Häftlinge – wie sich später herausstellte, die Köche der Lagerküche – einen Schulkameraden vom Paderewski-Gymnasium in Poznań entdeckte. Es war Leszek Werwicki. Er hatte die Nummer 8220 . Es gelang mir, mich kurz mit ihm zu unterhalten. Am Ende unseres Gespräches bekam ich eine Scheibe Brot. Meine Freude war unbeschreiblich. Ich freute mich über die erste Lebensmittelhilfe außerhalb des Krankenbaus. Von diesem Augenblick an bekam ich ein- oder zweimal in der Woche Suppe oder Brot von ihm und einmal sogar ein Stückchen Wurst. Das Verhalten Leszeks half mir seelisch ungeheuer. Manchmal konnte ich die von ihm zugesteckte Scheibe Brot mit meinem Vater teilen, der in der Tischlerei auf dem Bauernhof eingesetzt war, wo die Arbeitsbedingungen schlechter waren als im DAW -Kommando. Meinen Vater bekam ich nur selten zu sehen. Jeder von uns lebte und arbeitete in einem anderen Block und in einem anderen Kommando. Vater klagte über seinen Blockältesten Zalisch, der seine Gelüste häufig an den »Intelligenzlern« seines Blocks ausließ. Leider gab es mehr von diesen Blockältesten.
Nach einer weiteren Woche wurde ich in den Block 14 verlegt, der früher zum »Russenlager« gehört hatte. Das Gedränge in den Räumen dieses Blocks war geradezu ungeheuerlich. Es gab zwar Pritschen mit Strohsäcken, aber nach der Arbeit mußten wir dort so manches Mal zu zweit oder zu dritt auf einer Pritsche schlafen. Dort hatte ich ein furchtbares Erlebnis. Nach dem Abendappell bekam ich von Leszek eine Scheibe Brot. Ich steckte sie in die Tasche meiner Arbeitsbluse. Diese verschnürte ich mit den Hosenbeinen meiner Hose, und beides wickelte ich in meinen Mantel, dessen Ärmel ich ebenfalls verknotete. Das ganze Bündel verstaute ich auf der Pritsche unter meinem Kopf, und fest davon überzeugt, daß ich morgens zum »Tee« ein Stückchen Brot werde essen können, schlief ich ein. Als ich morgens aufwachte, hatte ich Arbeitsbluse, Hose und Mantel unter dem Kopf, nur das Brot war verschwunden. Irgend jemand mußte in der Nacht das Arbeitszeug unter meinem Kopf hervorgezogen und das Brot geklaut haben. Und wieder ging ich hungrig zur Arbeit. Im stillen schwor ich mir, falls ich irgendwann noch mal Zusatzverpflegung bekommen sollte, dann würde ich sofort alles aufessen und nichts aufheben. Brotdiebstahl – das was das größte Unrecht und unter den Gegebenheiten des Lagers das schwerste Verbrechen, das ein Häftling einem andern antun konnte.
Unter den politischen Gefangenen befanden sich leider auch extra aus Deutschland herbeigeschaffte gewöhnliche Kriminelle. Einige Tage später wurde ein Mithäftling beim Brotdiebstahl erwischt. Zwei andere Häftlinge schlugen ihn gemeinsam mit dem Stubenältesten so zusammen, daß er morgens kalt und steif in den Waschraum getragen werden mußte. Ich weiß nicht, ob es derjenige gewesen war, der auch mich bestohlen hatte. Aber seitdem hörten die Diebstähle auf.
Woche um Woche verging, von einem Sonntag zum nächsten. Meine Leidensgefährten schrieben einmal im Monat Briefe nach Hause. Ich schrieb nicht. Ein Zuhause hatte ich nicht, und ich hatte Angst, an meine Tante zu schreiben. Ich wollte sie nicht der Gefahr eines Verhörs aussetzen. Ich fürchtete auch, selber verhört zu werden. Fast jeden Tag wurde jemand in die Politische Abteilung gerufen, und nicht alle kamen zurück.
Der nächste Arbeitstag war für mich ein Pechtag. Ich verletzte mich mit dem Stechbeitel am linken Zeigefinger. Ich wurde notdürftig verbunden, aber nicht von der Arbeit freigestellt. Am nächsten Tag war der Finger stark angeschwollen, doch weil Verletzungen im Lager an der Tagesordnung waren und niemand Rücksicht darauf nahm, achtete auch ich nicht weiter darauf. Zwei Tage später
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