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Aus der Hölle zurück

Aus der Hölle zurück

Titel: Aus der Hölle zurück Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tadeusz Sobolewicz
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Patienten die Krankheit überstehen oder aber sterben mußte. Die Häftlingsärzte, vorwiegend Polen, taten zwar, was in ihren Kräften stand, aber in den meisten Fällen waren sie angesichts der fehlenden Mittel zum Bekämpfen der Krankheit, insbesondere gegen den Flecktyphus, ratlos. Um die Patienten retten zu können, brauchte man Medikamente, brauchte man Serum. Man mußte die Lebensbedingungen der Häftlinge verbessern. Aber das war nicht möglich, das war nicht die Absicht der SS . Es war auch nicht die Absicht der SS -Ärzte, die Epidemie einzudämmen. Visiten und Selektionen unter den Kranken waren nur ein Vorwand für die Ausrottung der Menschen. Nur wenigen gelang es, die Epidemie zu überleben.
    Meine Gesundung hatte ich – und nicht nur ich – den polnischen Ärzten zu verdanken. All diese Beobachtungen inmitten von menschlichem Leid und Tod verliehen mir trotz alledem Zuversicht und Glauben, daß es im Lager dennoch Leute gab, die anderen halfen, daß es trotz der Bestialität jener, die ihre Macht mißbrauchten, auch solche gab, die es verstanden, sich ihnen zu widersetzen. Das Beispiel der Ärzte war in dieser Hinsicht am offensichtlichsten und wirksamsten. Sicherlich deshalb war ich bemüht, die Anweisungen der älteren Häftlinge, der Ärzte oder Saalältesten, tadellos auszuführen. Vielleicht zog sich mein Aufenthalt im Krankenbau eben deshalb in die Länge. Trotz der schweren, so manches Mal undankbaren Arbeit unter den Kranken war ich mir bewußt, daß ich nützlich war, daß ich gebraucht wurde. Und das war sehr wichtig.
    Unter den vielen Häftlingen im Schonungssaal begegnete ich auch Bekannten aus der Zeit der Freiheit. Der Häftling der Strafkompanie Jan Zmuda rief mir die illegale Tätigkeit in Tarnów in Erinnerung. Sein Bruder Franciszek, Gymnasiallehrer in Cieszyn, war schließlich der erste gewesen, der mir auf der Flucht vor der Gestapo Unterschlupf gewährt hatte. Nun mußte ich erfahren, daß Franciszek Zmuda an Typhus gestorben war. Jȩdrysik aus Czȩstochowa war ebenso wie ich an Typhus erkrankt. Er war aber genesen und kam allmählich wieder zu Kräften. Jan Plachno aus Schlesien, er war älter als ich, unterhielt uns mit Anekdoten. Durch seinen Humor verstand er es, uns von dem abzulenken, was um uns herum geschah. Als Hilfspfleger bemühte ich mich, ihnen beim Verteilen der Suppe hin und wieder ein oder zwei Schöpflöffel mehr zu geben.
    Hinter den Fenstern des Krankenbaus, in dem ich vorübergehend Zuflucht gefunden hatte, herrschte zuerst ein strenger, frostkalter Winter und dann ein regnerischer Frühling. Diejenigen, die ohne hinreichende Verpflegung unter freiem Himmel arbeiten mußten, beneidete ich nicht. Jeder Tag im Krankenbau verlängerte meine Aussicht zu überleben – und nicht nur meine. Das wurde mir mit aller Härte klar, wenn neue Häftlinge nach überstandenem Typhus oder aus den Arbeitskommandos des Lagers in unseren Saal kamen. Ihr Aussehen – ihre von Erfrierungen bedeckten Hände, Füße und Ohren – erfüllte einen mit Entsetzen. Sie waren so heruntergekommen, daß ihr Anblick kein längeres Leben mehr verhieß. Etwas Wärme, etwas mehr zu essen und menschliche Betreuung – das waren ihre letzten Wünsche. Beim Erfüllen dieser Wünsche halfen die meisten der im Krankenbau beschäftigten Häftlinge.
    Eines Nachmittags suchte mich im Schonungssaal Ostańkowicz, der Saalältester im Erdgeschoß des Blocks war. Er sagte mir, daß mich irgendein Häftling sehen wollte. Das Betreten der Infektionsabteilung war verboten. Trotzdem schlug er mir vor, ins Erdgeschoß hinunterzukommen. Ich könnte dort durch eines der Fenster mit diesem Häftling sprechen.
    Meine Überraschung war unbeschreiblich – unter dem Fenster stand im Häftlingsdrillich mein Vater! Ich war völlig verwirrt. Als ich vorsichtig das Fenster aufmachte, fragte er: »Wie geht es dir?« »Danke, es geht. Ich habe Typhus gehabt, aber jetzt ist es schon besser«, antwortete ich gerührt. Ich merkte, daß mein Vater ziemlich schlecht aussah. Seine Augen verrieten Leiden und Beunruhigung. Mit verlegener Miene, gleichsam als schäme er sich, fragte er: »Hast du vielleicht Zigaretten?« »Wart mal, ich besorge was«, ich schloß das Fenster.
    Ich lief nach oben zu meiner Pritsche, wo ich unter dem Strohsack meine »kleinen Schätze« versteckt hatte. Rasch kehrte ich zum Fenster zurück und warf meinem Vater – eingewickelt in ein Stück Papierbandage – ein paar Zigaretten und ein

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