Aus der Hölle zurück
bist nicht verreckt, du junger Spund, und das ist gut so. Hau ab, hol Kartoffeln. Aber dalli!« Ich lief mit dem Kartoffelfaß los. Das gelang mir nicht ganz so gut wie früher, denn ich hatte keine Übung mehr. Aber ziemlich schnell erlangte ich meine Form zurück. Die alltägliche Küchenarbeit begann erneut. Den Kessel füllen, kochen, abfüllen, saubermachen … und wieder von vorne. Immer wieder dasselbe. Einige Tage genügten, und ich vergaß, daß ich krank gewesen war.
Es nahte das nächste Weihnachtsfest. Für uns Häftlinge brachten diese Tage nichts Neues, außer sehnsüchtigen Gefühlen und Erinnerungen. Doch für die religiöser eingestellten Mitgefangenen war dieses schöne, mit langjährigen Traditionen verbundene Familienfest ein tiefes Erlebnis. Ich versuchte, nicht daran zu denken, daß ich weder Vater noch Mutter hatte, daß ich inmitten unablässiger Gefahren und Bedrohungen lebte. Einige erst frisch in der Küche eingesetzte Köche (J. Strzelecki, W. Skorupski, H. Zguda) brachten ein paar Neuigkeiten mit. Flüsternd gaben wir einander die Nachricht von den verbissenen Kämpfen bei Stalingrad weiter, wo die Russen die Deutschen endlich zum Stehen gebracht hatten und entschlossen den weiteren Vormarsch der Totenkopf-Einheiten abwehrten.
Als der Heiligabend gekommen war, bemerkte ich auf dem Tisch, an dem wir wie eine große Familie zusammen saßen, einige Tannenzweige; und das genügte, daß mir die Tränen kamen. Ich verdrückte mich auf die Toilette, um dort mit meiner Schwäche, meiner Einsamkeit und meinem Schmerz allein zu sein. Als ich am Ende zu den andern zurückkehrte, summten die Köche gerade »Stille Nacht, heilige Nacht …« Ich konnte keinen Ton hervorbringen, doch irgendwie kam ich zurecht und konnte nach und nach meine Rührung unterdrücken.
Am ersten Feiertag kochten wir keine Kartoffeln. Es gab eine Art Gulasch. Viel Fleisch war nicht da, aber irgendwelche Reste und Innereien bereicherten das Gericht ein wenig, so daß auch die Häftlinge im Lager meinten, den Köchen sei die Suppe diesmal gut geraten. Dem Anschein nach waren es Feiertage, aber nicht für alle. Die Strafkompanie arbeitete, einige Kommandos ebenfalls. Ein Teil der Häftlinge hatte mehr Zeit, sich zu erholen.
In der Küche erwischte »Bubi« indessen einen der Köche dabei, als er Brot und Wurst in die Gemüsekammer schmuggelte. Der Unglücksrabe bat den Vorarbeiter Szymanek, er möge den SS -Mann anflehen, keine Meldung über ihn zu erstatten, sondern ihn nur zu bestrafen. Der SS -Mann ging – o Wunder – darauf ein und bedachte das Gesäß des Deliquenten mit zehn Stockhieben. Dann entließ er ihn aus der Küche.
Wohl irgendwann Anfang des neuen Jahres ( 1943 ) war das Aufstellen von vier zusätzlichen Kesseln beendet, und der Küchenchef brachte mehrere neue Häftlinge zur Arbeit mit. Es waren Ukrainer. Man konnte sich unschwer denken, daß es darum ging, uns in Zwistigkeiten zu verwickeln. Gleichzeitig ging es darum, das »Organisieren« von Lebensmitteln durch die Polen einzuschränken. Aber die Zeit tat das ihre. Die Ukrainer waren ebenfalls Häftlinge und gleichfalls hungrig. Allmählich erlernten sie das Küchenhandwerk, und allmählich begannen auch sie zu »organisieren«, zwar nur kleine Mengen Brot oder Suppe, aber immerhin. Der Hunger war stärker. Einer von ihnen wurde vom Chef erwischt und sofort aus dem Kommando entfernt. Nach einiger Zeit begannen sowohl Polen als auch Ukrainer, ihr Schicksal – die keineswegs leichte Arbeit in der Küche – zu teilen; und ich kann mich nicht daran erinnern, daß es in der Zeit meiner Beschäftigung in der Küche zu irgendwelchen Reibereien oder Denunziationen zwischen uns gekommen wäre.
Anfang März 1943 gelangte die Nachricht in die Küche, daß die Politische Abteilung Listen für mehrere große Transporte in andere Lager vorbereite. Abtransportiert werden sollten die Häftlinge mit der größten Lagererfahrung, d. h. diejenigen, die schon am längsten im Lager waren. Die SS -Führung hatte wahrscheinlich Wind von den Anfängen einer Lagerwiderstandsbewegung bekommen und befürchtete Aufruhr. Die »alten« (niedrigsten) Nummern mußten beseitigt werden, weil sich unter diesen Häftlingen potentielle Anführer und Widerstandskämpfer befinden konnten. Ich war überrascht, als ich erfuhr, daß auch mein Name auf der Transportliste aus der Küche stand. Ferner waren Leszek Werwicki, Edek Golik, Mietek Albin, Jurek Strzelecki und andere
Weitere Kostenlose Bücher