Aus der Hölle zurück
Wozu ausgerechnet hier?« knurrte er vorwurfsvoll. »Ich wollte noch etwas von diesem Geruch haben, von der Freiheit«, murmelte ich. Pietrek blickte mich an und meinte dann: »Ach, du dummer Spinner! Wegen dieses Stückchens ›Freiheitsbrot‹ hättest du in der Strafkompanie landen können, von wo dich nichts und niemand gerettet hätte. ›Bubi‹ ist ein Schweinehund«, belehrte er mich. »Laß es gut sein, Pietrek«, bat ich ihn. »Es ist nun einmal passiert.« »Passiert, passiert!« äffte er mich nach. »Wenn er dich noch mal bei der kleinsten Kleinigkeit erwischt, fliegst du raus. Das wirst du sehen«, prophezeite mir hartnäckig mein Meister. »Vielleicht fliege ich nicht. Ich werde aufpassen!« versicherte ich ihm.
Und ich flog wirklich nicht aus der Küche. Dafür bekam ich drei Tage später ganz überraschend Fieber, das mich im Nu sehr schwächte. Nur mit Mühe konnte ich die Kessel und Fässer anheben. Chmura befahl mir, mich im Krankenbau zu melden. Man diagnostizierte Fleckfieberverdacht. Ich konnte es einfach nicht fassen. Vor einem Jahr hatte ich Typhus gehabt. Sollte man etwa zum zweiten Mal daran erkranken können? Wie auch immer, ich befand mich zum dritten Mal im Block 20 . Man führte mich in einen der Säle. Dort kannte ich niemanden. Mir wurde Blut abgenommen zur Untersuchung, und ich wurde geröntgt. Das Fieber ging nicht zurück. Der SS - Arzt, der den Saal inspizierte, befahl, den Bettlägrigen irgendwelche Tabletten zu verabreichen und deren Wirkung auf den Organismus zu beobachten. Nachdem ich die Tabletten geschluckt hatte, wurde mir schlecht. Sie bewirkten, daß man sich übergeben mußte. Ich fühlte mich entsetzlich. Ein unweit liegender Häftling (T. Śnieżko), der sah, wie ich mich quälte, riet mir leise, die Tabletten nur dem Schein nach zu schlucken und sie heimlich wieder auszuspucken. Er wies darauf hin, daß der SS -Arzt möglicherweise Experimente an uns vornehme und daß man sich so dagegen wehren müsse, daß er es nicht merke. Ich richtete mich danach. Ein anderer Häftling, er lag über mir, bekam nachts einen Anfall und starb gegen Morgen. Verflucht noch mal, was waren das für Tabletten? Ich lag sieben Tage in dem Saal, in dem tatsächlich irgendwelche Typhusversuche durchgeführt wurden. Mir wurde noch zweimal Blut abgenommen, und dann wurde ich mit Śnieżko in einen anderen Saal verlegt, wo Janusz Młynarski Stubenältester war. Dort lagen Häftlinge vom ersten Transport – E. Niedojadło, J. Chlebowiski und J. Pierzchała. Ich fühlte mich etwas besser; und das um so mehr, als das Fieber nachließ.
Meine Arbeitskollegen aus der Küche – Cyba, Golik, Werwicki – brachten mir Zusatzverpflegung. Ich bekam so viel, daß ich allen anderen im Saal etwas abgeben konnte. Es kam eine bessere Stimmung auf, wir begannen von der Freiheit zu sprechen. Was ich machen würde, wenn ich aus dieser Hölle herauskäme. Das war ein nie endendes Thema unter den Genesenden. Als Jüngster im Saal, unter lauter älteren Mithäftlingen, erweckte ich nicht selten Mitleid. Die andern wußten, daß man meinen Vater umgebracht hatte, daß meine Mutter nach Ravensbrück gebracht worden war, und daß ihr weiteres Geschick ungewiß war. Oft dachte ich, daß auch sie umgekommen sei. Ich verriet niemandem, daß ich mich unter fremdem Namen im Lager befand. Das vertraute ich keinem an. Ich war in mich selbst verschlossen. Meine Gedanken waren einzig darauf ausgerichtet, mich nicht umbringen zu lassen. Ich wollte überleben. Gesteigert wurde dieser Wunsch, als sich meine körperliche Verfassung den Umständen entsprechend wieder besserte.
Nach zwei Wochen erfuhr ich vom Stubenältesten, daß ich Paratyphus gehabt hatte und vom SS -Arzt pharmakologischen Typhusexperimenten unterzogen worden war. Ich begann zu überlegen. Auch das hatte ich also hinter mir, ich hatte es ausgehalten. Ich hatte es überlebt und würde sicher wieder in die Küche zurückkehren. Dieser Gedanke erfüllte mich mit freudiger Erregung. Ich würde zu meinen Kollegen zurückkehren, zu den Menschen, in deren Kreis ich etwas Herzlichkeit und Wohlwollen gefunden hatte. Vielleicht hatte ich gerade unter ihnen daran zu glauben begonnen, daß ich überleben könnte. Bei ihnen fühlte ich mich nicht einsam und verlassen. Es schien mir, daß auch sie mich brauchten, und dadurch fühlte ich mich vielleicht am stärksten zu ihnen hingezogen.
Pietrek begrüßte mich fröhlich wie immer: »Na, endlich bist du da! Du
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