Aus der Hölle zurück
« geschrieben stand. Die SS -Leute der Wachmannschaft begannen zu schreien: »Raustreten!« Und wie gewöhnlich stellten sie uns mit Kolbenstößen und Peitschenhieben in Fünferreihen zu einer Kolonne auf. Erst als die ganze Gruppe von SS -Leuten mit Hunden umgeben war, brachen wir auf. Der Weg führte uns ein Stückchen durch die Stadt. Es war Vormittag, auf den Straßen bewegten sich Menschen: Frauen, Männer und Kinder. Voller Verachtung und Ekel betrachteten sie unseren Zug der graublau gekleideten Häftlinge. Einige Halbwüchsige und Kinder hoben Steine auf und begannen, uns damit zu bewerfen. Dabei schrien sie: »Verfluchte polnische Banditen! Euretwegen haben wir diesen Krieg.« Erst als wir die Stadt verließen, wurde es ruhiger. Man hörte nur unser ungleichmäßiges Klappern der Schuhe und Holzpantinen auf dem Straßenpflaster oder dem Asphalt der Chaussee. Die SS -Posten ließen uns während des Marsches in Ruhe. Als wir uns jedoch nach zwei Stunden dem Lager näherten, ließen sie uns aufschließen und ordneten Gleichschritt an. Wieder hieß es: »Links, links! Links, zwo, drei vier …«
Weit vor uns tauchten niedrige Gebäude auf; in der Mitte ein kleiner, von einer Balustrade eingefaßter Turm, unter dem sich das Lagertor befand. In der Nähe des Eingangs standen mehrere SS - Offiziere. Es war unschwer zu erraten, daß dies unser neuer Lagerkommandant mit seinem Gefolge war. Von der Seite her brüllte ein SS -Mann: »Achtung! Mützen ab!« Und vorschriftsmäßig klatschten sie an die Hosennaht. Unsere Gesichter den »Totenköpfen« zugewandt, zogen wir an ihnen vorbei. Kurze Zeit später durchschritten die ersten Reihen das Lagertor, auf dem in eisernen Buchstaben die Inschrift »Jedem das Seine« zu lesen war. Wir überschritten also die Grenze eines anderen Lagers mit einer anderen Inschrift am Tor. Sollte dies etwa ein Lager sein, in dem die Gerechtigkeit darüber entschied, was jedem gebühre und daß jedem, also auch dem Häftling, etwas gebühre? Ich konnte den Sinn dieser Losung nicht recht begreifen.
Unterdessen mußten wir uns auf dem riesigen Appellplatz aufstellen und wurden nochmals gezählt. Es folgte eine kurze Ansprache des Lagerführers, deren wichtigste Sätze darin bestanden, daß wir nach Buchenwald gekommen seien, um zu arbeiten, und daß diejenigen, die sich an Ordnung und Disziplin hielten, entsprechend behandelt würden. Wer nicht gut arbeiten werde, der dürfe nicht mit Nachsicht rechnen.
Dann wurden wir zum Duschen gejagt. Wir bekamen frische Wäsche und wurden in Gruppen von mehreren Dutzend Mann in die Quarantäne (ins sogenannte Kleine Lager) gebracht. Ich kam in den Block 59 . Das war eine Pferdestallbaracke von der Art, wie sie zu Dutzenden in Birkenau standen. Es überraschte mich, daß wir von den Funktionshäftlingen des Lagers, die uns befehligten, weder beim Appell noch beim Duschen noch bei der Einweisung in die Blocks angeschrien oder geprügelt wurden. Dieser positive erste Eindruck rief jedoch bei den Auschwitz-Häftlingen Beunruhigung und einen bösen Verdacht hervor. Wenn einem etwas gut vorkam, dann konnte es bald sehr schlimm aussehen. Wir kannten das perfide Vorgehen der SS -Leute. Dieser Anschein geringerer Unterdrückung hieß uns, vorsichtig und mißtrauisch zu sein. Beim Umziehen im Bad hatte ich meine Kollegen aus der Küche aus den Augen verloren und war in eine andere Gruppe des Transports geraten. Ich freute mich, als ich im selben Block Oberleutnant Kwiatkowski aus dem Gefängnis in Częstochowa und Czesław Pstańkowicz, meinem Stubenältesten aus dem Typhusraum, begegnete.
Am nächsten Tag bekamen wir gestreifte Kluft aus der Desinfektionsanstalt, und nach dem Anpassen der Kleidungsstücke gingen wir der Reihe nach zum Blockschreiber, der gemeinsam mit dem Stubenältesten die neuen Häftlingsnummern verteilte. Ich bekam die Nummer 10 943 . Das Kleine Lager umfaßte ein gutes Dutzend Pferdestallbaracken, die durch einen zusätzlichen Drahtzaun vom Hauptlager getrennt waren. Es gab auch ein separates Lagertor, das von Häftlingen beaufsichtigt wurde, die schwarze Armbinden mit der Aufschrift »Lagerschutz« trugen. Das hatte es in Auschwitz nicht gegeben – Lagerpolizisten in Häftlingskluft! Interessant war auch, daß fast alle diese »Polizisten« rote Winkel trugen. In Buchenwald waren, wie wir erfuhren, ziemlich viele deutsche politische Gefangene inhaftiert – Sozialdemokraten, Kommunisten oder Deutsche, die nicht mit dem
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