Aus der Hölle zurück
Hosengürtel unter der Arbeitsjacke. Szelest drohte uns: »Macht bloß keine Dummheiten! Gleich kommt der ›Onkel‹. Also fort mit euch! Ihr habt das Tischchen hergebracht und jetzt zurück an die Arbeit. Aber dalli!«
Liszka schob das von uns herbeigeschaffte Tischchen auf ihn zu, versperrte ihm so den Weg zu uns und meinte beruhigend: »Ist ja schon gut, Kaziu. Wir gehen ja schon.« Er drehte sich urplötzlich um und ergriff, bevor Szelest es mitbekam, zwei im Regal liegende Würste. Kaum hatte er sie in der Hose verschwinden lassen, da stand auch schon der Chef persönlich in der Tür. Mir wurde heiß. Die Margarinewürfel unter meinem Gürtel schienen mich zu verbrennen. »Was macht ihr denn hier?« fragte der SS -Mann mißtrauisch. Liszka antwortete auf der Stelle, ebenfalls ziemlich laut: »Wir gehen gerade. Wir hatten den Befehl, das Tischchen herzubringen. Das haben wir getan.« »Onkel« musterte den kleinen Edek drohend und meinte: »Na gut, aber was hast du denn hier?« Dabei deutete er auf den vorstehenden Bauch Edeks. Der Zipfel einer versteckten Wurst stand als kleine, verdeckte Wölbung hinter dem Gürtel hervor. In diesem Augenblick hatte ich keinen Zweifel mehr, daß wir geschnappt worden waren. Doch Liszka war mit allen Wassern gewaschen. Er zog blitzschnell den Bauch ein, so daß die Wurst vom Gürtel in die Hosen rutschte, deren Beine in seine Gummistiefel gestopft waren. Dort blieb sie in den Falten stecken. Auf der Stelle ging er zum Angriff über: »Sehen Sie doch selbst, Chef. Bitte, sehen Sie sich das an!« Mit diesen Worten ging er auf ihn zu und streckte den Bauch hervor.
Das sah so komisch aus, daß sich der »Onkel« auf die Lippen biß, um nicht laut loszulachen. Er winkte ab und brummte: »Hau ab, aber los!« Wie von Hornissen gestochen, verließen wir das Magazin. Ich atmete tief aus. Dieser Edek hatte es faustdick hinter den Ohren. Zurück am Kessel, schnappte ich mir eines der Fässer und zwinkerte Pietrek zu. Er hatte verstanden. Ich rollte das Faß in die Kartoffelkammer. Diesmal bewahrte Adam Różycki an den Bottichen die Magarinewürfel auf. Einen davon teilte er sich mit den Arbeitskollegen seines Kommandos, zwei brachte er nach der Arbeit zu Wieczorkowski. Die benachbarte Kartoffelkammer bot den Köchen die Möglichkeit, sich des Schmuggelguts, das man sich in der Küche oder im Magazin besorgt hatte, rasch zu entledigen.
In der zweiten Hälfte des Jahres 1942 und in der ersten des Jahres 1943 , als das Lager mit mehreren Zehntausend Häftlingen belegt war, bekamen die in der Kartoffelkammer beschäftigten Häftlinge offiziell oder inoffiziell alle Restbestände der Suppe, die in der Küche gekocht wurde. Viele Häftlinge hegten den Wunsch, in dieses Arbeitskommando zu kommen, weil man dort den Hunger stillen konnte. Kapo Lisowski (Tadeusz Lisowski, Nr. 329 ) teilte die zusätzlichen Suppen- und Brotrationen, die den Beschäftigten des Kartoffelschälerkommandos von den Köchen zugeschmuggelt werden konnten, gerecht unter alle auf. Er kümmerte sich auch darum, daß heruntergekommene, schwache und ausgezehrte Häftlinge nach überstandenem Typhus oder aus dem Schonungsblock in dieses Kommando aufgenommen wurden.
Er war ein hervorragender Mensch, der durch seine Deutschkenntnis und sein anscheinend rauhes Verhalten geschickt den Lebensmittelschmuggel über die Kartoffelkammer verschleierte. Ihm war es zu verdanken, daß etwa 25 Prozent der heimlichen Lebensmittellieferungen aus der Küche die Häftlinge des ihm unterstehenden Kommandos erreichten, und daß der Rest zu gegebener Zeit weitergeleitet wurde, meist in den Häftlingskrankenbau. Im Saal der Typhuskranken von Janusz Młynarski im Block 20 und in der Leichenhalle im Block 28 von Julek Kiwała wurden die geschmuggelten Lebensmittel aus der Küche am häufigsten aufbewahrt. Ärzte oder Pfleger befaßten sich mit der Verteilung an diejenigen, die es am dringendsten benötigten. Lisowski wurde später erschossen. Mit den Worten »Noch ist Polen nicht verloren …« auf den Lippen starb er an der schwarzen Todesmauer. Es stellte sich heraus, daß er der Widerstandsbewegung des Lagers angehört hatte, jener geheimen Militärorganisation, die sich trotz des entsetzlichen Terrors im Lager das Ziel gestellt hatte, aktiv zu handeln, das hieß Mitgefangene zu unterstützen und Schwache und Kranke zu retten. Der Organisation gehörte eine Reihe von Offizieren, Soldaten, politischen Funktionären, Pfadfindern und
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