Aus der Hölle zurück
aufgeführt. Auf die Transportlisten hatte man viele Häftlinge des ersten Transports und vorwiegend solche gesetzt, die in besseren Kommandos beschäftigt waren. Der SS -Arzt nahm eine kurze Begutachtung vor. Daher konnte man vermuten, daß kräftige, gesunde Häftlinge andere Lager und Fabriken verstärken sollten, wo es ständig an Arbeitskräften mangelte. Einige Häftlinge versuchten, vom Transport zurückgestellt zu werden. Obwohl sie gute Bekannte in der Lagerkanzlei hatten, gelang das nur in den seltensten Fällen.
Unter den meisten zum Abtransport vorgesehenen Häftlingen herrschte eine unruhige, nervöse Stimmung. Jeder von ihnen wußte, was er im KZ Auschwitz zu erwarten hatte. Jedes andere, unbekannte Lager war ein Rätsel. Unter den neuen Gegebenheiten mußten alle wieder von vorn, aus dem Nichts heraus ums Überleben kämpfen. Sie wurden Neuzugänge und würden allen Unbequemlichkeiten, allen Schwierigkeiten unterworfen sein, denen die Häftlinge seitens anderer, unbekannter SS -Leute und Kapos ausgesetzt waren. Für manche bedeutete es eine Degradierung auf der Leiter der Lagerfunktionen und des Einsatzes in guten Kommandos. Man brauchte sich also nicht zu wundern, daß die Aufregung groß war und daß erst der Abreisetag darüber entschied, ob ausnahmslos alle wirklich vom Transport betroffen waren. Einer der Transporte sollte nach Neuengamme gehen, der andere nach Buchenwald. Mir sagte der zweite Name gar nichts. Ich erfuhr lediglich, daß die Ortschaft irgendwo mitten in Deutschland, in der Nähe von Weimar, liegen sollte. Beide Transporte zählten jeweils 1000 Häftlinge. Ich gehörte zum zweiten – nach Buchenwald.
Am 10 . März 1943 mußten wir in Marschkolonne neben der Küche antreten. Der Reihe nach gingen wir zu den im Magazin beschäftigten Häftlingen, die von einem Rollwagen aus ein halbes Brot und eine drittel Fleischkonserve pro Kopf an uns verteilten. Nachdem wir in unserem Kochgeschirr einen halben Liter »Kaffee« in Empfang genommen hatten, schlossen wir uns gemeinsam mit anderen der Kolonne an. In den Küchenfenstern tauchten die Gesichter von Pietrek, Lutek, Chmura und Szymanek auf. Sie winkten uns zum Abschied zu. Neben mir standen Leszek Werwicki, Jurek Strzeleki und Mietek Albin. Uns war irgendwie komisch zumute. Im Halse würgte es. Wir verließen das auf polnischem Boden gelegene Lager. Wir wußten, daß wir ins Innere eines Landes fahren sollten, das uns feindlich gesinnt war. So hatte ich mir das Verlassen des KZ Auschwitz nicht vorgestellt. Aber zu weiterem Überlegen blieb keine Zeit. Die SS -Leute gaben den Befehl »Im Gleichschritt marsch!«
Die Kolonne bewegte sich langsam auf den Bahnhof zu. Unterwegs gab ein SS -Mann die Anweisung »Ein Lied!«, aber irgendwie fing niemand an zu singen. Daraufhin sprangen mehrere andere SS -Leute auf die Marschierenden zu und zwangen die Häftlinge mit ihren Gewehrkolben, das blöde Lied »Im Lager Auschwitz war ich zwar …« anzustimmen. Als wir die Rampe erreicht hatten, wo die Güterwagen bereitstanden, wurde uns befohlen, in Gruppen zu 50 Mann hineinzuklettern. Drei oder vier zur Beaufsichtigung eingesetzte SS -Leute zählten die Einsteigenden. Wie Vieh wurden wir hineingestoßen und eng zusammengepfercht.
Wir warteten, was weiter geschehen würde. Einige Häftlinge gerieten in Panik. Irgend jemand begann zu jammern, mit dem Transport, das sei nur fauler Zauber, und wir würden bestimmt irgendwo in die Gaskammern gebracht. Mir lief ein Schauder über den Rücken, aber nach einer Weile begann jemand laut zu überlegen: »Dann hätten sie uns nie und nimmer ein halbes Brot gegeben. Übrigens brauchen sie uns zur Arbeit. Nur kühlen Kopf bewahren! Noch ist das Ende für uns nicht gekommen!«
Im Innern des Waggons wurde es ruhiger. Später kamen auch die SS -Leute der Wachmannschaft herein, und der Zug fuhr an. Dicht zusammengedrängt, versuchten wir, uns irgendwie zum Schlafen hinzulegen. Das rhythmische Rattern der Räder schläferte uns ein, trug uns aber auch immer weiter fort von jenem Ort, der unsere Grabstätte hatte werden sollen.
Buchenwald
Der Zug blieb immer wieder auf den verschiedensten Abstellgleisen und kleinen Bahnhöfen stehen. Zum Austreten wurden wir einzeln aus dem Waggon gelassen. Wir fuhren die ganze Nacht, den ganzen nächsten Tag und noch eine Nacht lang, bis unser Transport schließlich am 12 . März gegen Morgen auf einem Bahnhof anhielt, auf dessen Stationsschild in gotischer Schrift » WEIMAR
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