Aus der Hölle zurück
Hände erblickte, fragte er sofort, was geschehen sei.
Ich erklärte ihm, daß mich der Rothaarige so zugerichtet habe. Daraufhin erkärte der Kapo, daß das ein für allemal ein Ende nehmen müsse. Der Rothaarige habe nicht das Recht, die Häftlinge zu schlagen, und noch dazu aus einer anderen Gruppe. Er selber habe dieses Recht, er könne jeden von uns fertigmachen. Wenn er nicht prügele, dann einfach deswegen, weil die Häftlinge zur Arbeit gebraucht würden. Doch der Rothaarige, dieser dumme Esel, könne das nicht begreifen. »Komm mit zum Meister!« beschloß er. Und wir zogen los.
Unterwegs wies er mich an, mir das Gesicht noch mehr mit Blut zu verschmieren. Als wir das vom Chefingenieur der Halle benutzte Kontor erreichten, kam gerade der vor Wut rot angelaufene Rothaarige aus der Tür. Als er mich in Begleitung des Kapos erblickte, stieß er ein unverständliches Geknurre aus und entfernte sich zu den Traversen hin. Der Kapo musterte mich und meinte: »Egal wie es ausgeht: In Zukunft überleg immer erst, bevor du etwas unternimmst! Und jetzt«, klopfte er mir auf die Schulter, »kämpf um deine Haut! Vielleicht kann ich dir ein wenig helfen.« Er klopfte, und als das »Herein« kam, traten wir ein.
Hinter dem Schreibtisch erhob sich ein fülliger kleiner Mann mit schütterem Haar, der uns sofort angriff: »Gut, daß Sie da sind, Kapo! Was soll das heißen, daß ein Häftling einen deutschen Meister überfällt? Das ist schließlich Aufruhr! Ich werde das sofort eurem Kommandanten melden. Wie können Sie so was nur zulassen!« Ich war entsetzt. Angstvoll blickte ich zum Kapo hinüber. Der ließ den Chef indessen ruhig ausreden und entgegnete dann: »Herr Ingenieur, für alles, was die Häftlinge machen, bin ich verantwortlich. Ich bin es, der jeden von ihnen ins Jenseits befördern kann! Und kein ziviler Meister wird sich mir da einmischen. Er hat mir nur zu melden, wenn ein Häftling etwas ausgefressen hat. Dieser Häftling«, er deutete auf mich, »ist bisher unbestraft. Und was hilft das? Dieser rothaarige Depp setzt ihm zu, wie er auch den andern zusetzt, und dadurch stört er nur bei der Arbeit. Das ist nicht in Ordnung!« Der Kapo verstummte, und ich wartete auf das Urteil. Der Ingenieur überlegte eine Weile, dann verabschiedete er dankend den Kapo. Mir befahl er, am Waschbecken das Gesicht zu waschen. »Waschen Sie diese Maskerade bitte ab, das ist nicht mehr nötig!« Der Kapo verließ den Raum.
Der Ingenieur wies mir den vor dem Schreibtisch stehenden Stuhl an. Ich wußte nicht recht, was er wollte. Ich setzte mich, und er verlangte, ihm zu erzählen, wie es gewesen sei. Ich beschrieb ihm den ganzen Zwischenfall, wobei ich betonte, daß der Rothaarige bei der Arbeit nicht nur mich verprügelt habe. Als ich fertig war, fragte mich der Ingenieur: »Woher kennen Sie die deutsche Sprache?« Ich war überrascht. Ich war mir nicht bewußt gewesen, daß das, was ich sagte, einigermaßen verständlich war. Ich war damals 20 . Meine Deutschkenntnisse hatte ich auf einem guten Vorkriegsgymnasium erworben. »Ich bin zur Schule gegangen«, antwortete ich. »Ach, was Sie nicht sagen!« Der Ingenieur zog eine Schachtel Zigaretten hervor und bot mir überraschend davon an. Ich nahm mir eine Zigarette und ließ sie rasch in der Tasche verschwinden.
Der Chefingenieur lachte auf: »Bei mir dürfen Sie rauchen. Hier gibt es weder Kapo noch SS . Obwohl …«, meinte er plötzlich in anderem Ton, »sind Sie sich überhaupt über Ihre Lage klar? Es genügt, daß ich von diesem Apparat aus euren Kommandanten anrufe und ihm sage, was Sie ausgefressen haben! Wegen eines Überfalls auf einen deutschen Arbeiter wird jeder Häftling eines Konzentrationslagers erhängt. Haben Sie das kapiert?!« »Jawohl«, gab ich zurück. Meine Beunruhigung nahm zu. Was hatte dieser Deutsche vor?
»Erlauben Sie doch bitte, die ganze Angelegenheit restlos zu erklären«, versuchte ich, meine Haut zu retten. Hinter der vorgeblichen Gewogenheit des Deutschen vermutete ich Hinterlist und Falschheit. Indessen begann er mich auszufragen: »Was sind Sie von Beruf?« »Ich bin Gymnasiast«, antwortete ich. »Und wo haben Sie das Gymnasium besucht?« lautete die nächste Frage. »In Poznań.« »In Posen?« wunderte er sich. »Und wo sind Sie geboren?« Was wollte er nur mit all diesen Angaben über mich? Was will er von mir? – überlegte ich. »In Poznań«, antwortete ich schließlich. »Ach so, dann sind Sie ja eigentlich
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