Aus der Hölle zurück
verschwändest. Ich habe gehört, daß mehrere Kranke nach Buchenwald zurückgeschickt werden sollen. Aber wie zum Hohn bist du ausgerechnet gesund«, schloß er mit einem heiteren Lächeln. Nach einer Weile fügte er hinzu: »Hier hast du ein Stückchen Brot. Zieh ab und erhol dich. Mach dir keine Sorgen. Vorerst arbeite, als ob nichts geschehen sei. Wir werden sehen, was uns die Zukunft bringt.« Ich bedankte mich und kehrte beruhigt auf meine Pritsche in der Baracke zurück. Meine Sorgen und Zweifel vertraute ich auch Jurek Potrzebowski an, doch der lachte nur und meinte: »Aber Tadek, du hast richtig gehandelt. Schade nur, daß du es ihm nicht tüchtiger gegeben hast!« »Ach du, nichts als Flausen im Kopf«, gab ich zurück, doch der stets fröhlich und heiter aufgelegte Jurek versuchte mich zu überzeugen, daß für die Deutschen die Arbeit maßgebend sei, nicht aber die Blödheit irgendeines Meisters mit dem Parteiabzeichen. Vielleicht hatte er recht.
In den nächsten Tagen verging mir allmählich die trübe Stimmung, und das um so eher, als die Deutschen bei mehreren neuen Bombenangriffen wieder Verluste erlitten. Nach ungefähr drei Wochen, Mitte April, wurden abends beim Appell die Nummern von mehreren Dutzend Häftlingen aufgerufen, darunter auch meine. Der Lagerälteste teilte uns mit, daß wir am nächsten Tag in eine andere Fabrik gebracht würden, um dort ähnliche Arbeiten auszuführen. Ich lief zu Boczkowski, traf ihn aber nicht an. Ich verabschiedete mich von Paul und Leon aus der Tischlerei, drückte Jurek Potrzebowski fest die Hand und trat morgens nach dem Appell gemeinsam mit T. Szwarc und L. Gluza vor den Baracken zu einer gesonderten Marschkolonne an. Die anderen Kollegen marschierten zur Arbeit ab.
Es kamen drei LKW s mit Kastenaufbauten vorgefahren. Uns wurde befohlen, in Gruppen zu 40 Mann hinaufzuklettern und uns auf den Boden zu setzen. In der Hocke und im Schneidersitz, fast einer über dem andern, drückten wir uns zurecht. Drei SS -Leute mit Karabinern setzten sich auf die hintere Klappe des Wagens. Sie eröffneten uns, daß sie jedes Aufstehen als Fluchtversuch betrachten würden. Das hieß, sie würden schießen. Die erneute Verlegung in ein anderes Lager begann also nicht gerade heiter. Die Wagen fuhren an und blieben erst nach mehreren Stunden stehen. Die SS -Posten sprangen hinab, ließen die Klappe herunter und befahlen uns, auszusteigen. Nachdem sie uns noch einmal gezählt hatten, wurden wir in einen Keller getrieben, der von nun ab unsere Unterkunft bilden sollte.
Mülsen
Das Lager, in das wir von Leipzig aus gebracht wurden, war ganz anders als die vorherigen. Es gab keine Baracken, es gab keinen elektrisch geladenen Stacheldraht. Das ganze Lager befand sich in Kellern. Es waren große Räume in einem zweistöckigen Gebäude, das zu einer Rüstungsfabrik gehörte. Der größere Keller war ca. 50 m lang und 10 m breit, der kleinere diente als Waschraum. Parallel zur Innenwand des größeren Kellers standen reihenweise dreistöckige Holzpritschen mit Strohsäcken und Decken. Unter den verblendeten Fenstern der gegenüberliegenden Wand hatte man Bänke und Tische aufgestellt.
Die mit ziemlich dicken Stäben vergitterten Fensteröffnungen befanden sich in dreieinhalb Meter Höhe, und die Fensterbretter lagen nur 10 cm über dem Erdboden. Der ganze Keller war ausgeweißt, und der Betonfußboden glänzte wie ein Spiegel. Zum Waschraum hin hatte man durch Bretterverschläge zwei kleine Räume abgeteilt. Der eine diente als Lagerrevier, in dem der Arzt untergebracht war, in dem anderen amtierte der Lagerälteste, der deutsche Kriminelle Weilbach. Er war ein mittelgroßer, kräftig gebauter Mann mit wildem, finsterem Gesicht, schwarzen Haaren und blutunterlaufenen Augen. Seine rauhe, heisere Stimme erinnerte uns eher an das Knurren eines Tieres. Er war nicht nur der von der SS eingesetzte Lagerälteste, sondern auch unser Kapo, Blockältester, Stubenältester, Schreiber und Dolmetscher. Die letztgenannte Funktion übte er mit unglaublichem Eifer aus. Als Instrument, das ihm die Verständigung erleichtern sollte, betrachtete er seinen mit Draht umwickelten Stock, der ihm bei der Ausübung all seiner Pflichten behilflich war.
Beim Appell, der nie länger als fünf Minuten dauerte, bekam jeder in der ersten Reihe stehende Häftling einen Schlag auf den Kopf oder die Schulter, weil der »Schwarze«, wie wir ihn nannten, mit dem Stock abzählte. Der Appell war übrigens
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