Aus der Hölle zurück
der benachbarten Fabrik wieder einsatzbereit, und die Produktion ging weiter.
Anfang März 1944 tauchten gegen Mittag, als wir auf die Pause und die Lagersuppe warteten, uniformierte Gestapo-Beamte in der Fabrik auf. Einer von ihnen ordnete an, das Arbeitstempo zu beschleunigen. Die Montagebrücken begannen sich schneller fortzubewegen. Das war unverständlich, denn so konnten die Tragflächen nicht fertiggestellt werden. Nach einer Weile stellte sich heraus, was diese Anordnung verursacht hatte.
Ich beendete gerade meine Handgriffe an dem Flügel und wechselte zur Traverse des französischen Priesters über, als ich von dorther eine Gruppe nazistischer Würdenträger erblickte, die den Mittelgang der Halle entlangschritt und auf die sich fortbewegenden Traversen zukam. Inmitten seiner Begleiter war unschwer der dicke Reichsmarschall Hermann Göring zu erkennen, gekleidet in einen stahlgrauen ledernen Parademantel mit roten Aufschlägen. Der rothaarige Meister und andere NSDAP -Mitglieder eilten auf die Gruppe zu, streckten ihre Arme zum Hitler-Gruß aus und riefen: »Heil! Sieg heil!« Göring bemerkte das und grüßte seinerseits die auf den Montagebrücken Befindlichen.
Plötzlich brachten mehrere Gestapo-Leute von der Seite her das Gefolge des Marschalls durcheinander, der sich den anderen Traversen zuwandte, wo ausschließlich Russen beschäftigt waren. Ihn mit ihren Körpern schützend, drängten ihn die Leibwächter in eine andere Richtung ab. Ich verstand. Schließlich hätte es ja sein können, daß ihn irgendein Verrückter mit dem Preßlufthammer angefallen hätte! Ha, sie hatten Angst. Es mußte also immer schlechter um sie stehen. In der Mittagspause bekamen wir zusätzlich ein kleines Stückchen Brot. Die Sklaven sollten es zu schätzen wissen, daß einer der »hohen« Führer ihre Arbeitsstelle besucht hatte. Aber konnte das Dritte Reich dadurch gerettet werden? Die Herrscher dieses Reiches begannen, den Boden unter den Füßen zu verlieren.
Die nächsten Tage im Leipziger Außenlager waren einander zum Verwechseln ähnlich – grau und eintönig in ihrer Hoffnungslosigkeit. Tag für Tag morgens der Appell, dann der Ausmarsch zur Fabrikhalle, die Mittagspause, erneut Arbeit bis nachmittags fünf oder sechs, die Rückkehr in die Baracken … Und am nächsten Tag dasselbe. Die Bombenangriffe schienen in unserer Gegend nachgelassen zu haben. Hin und wieder verkündeten die Sirenen irgendwo in der Ferne Fliegeralarm, aber bald darauf kam dann die Entwarnung. Die Deutschen waren noch stark. Auch wenn sie an der Ostfront Niederlagen erlitten, so rächten sie sich mit um so größerer Verbissenheit. Nach wie vor mußten Menschen sterben.
In unserer Halle wurde das Tempo wieder gesteigert. Teile für die Tragflächen wurden jetzt von anderen Betrieben geliefert, die mit den »Erla«-Werken zusammenarbeiteten. Wir waren wieder gezwungen, angespannt und konzentriert zu arbeiten.
Eines Tages, als ich den oberen Teil meines Blechs bereits festgeschraubt hatte und damit begann, die Löcher im Hauptspant des Flügels zu bohren, spürte ich instinktiv, daß jemand hinter mir stand. Ganz auf das Bohren des nächsten Lochs konzentriert, bemerkte ich nicht, daß es der Rothaarige war. Er schaute mir eine Weile unzufrieden zu und knurrte dann, daß ich den Bohrer abbrechen könne. Völlig unerwartet schlug er mir mit seiner grobschlächtigen Tatze ins Gesicht. Ich war sofort von Blut überströmt. In diesem Augenblick verlor ich die Beherrschung; ich wußte nicht mehr, was ich tat. Ich sprang aus der Hocke auf und schlug hemmungslos mit der Bohrmaschine auf den Rothaarigen ein. Dabei half ich mit dem Ellbogen nach.
Viel Schaden fügte ich ihm nicht zu. Ich war aber der erste Häftling, der sich ihm so urplötzlich und überraschend widersetzte. Die neben mir arbeitenden Kollegen nickten mir anerkennend zu. Zwei Russen riefen mir etwas zu, was ich aber nicht verstand, weil in der Halle ständig ein entsetzlicher Lärm der ratternden Bohrmaschinen und Niethämmer herrschte. Einen Augenblick lang war der Rothaarige sprachlos. Dann ging er auf mich los. Ich wartete nicht ab, bis er erneut auf mich einschlug. Ich floh zum Abstieg von der Montagebrücke, wo gerade unser deutscher Kapo vorbeikam. Das war ein ungefährlicher und im allgemeinen gutmütiger Deutscher. Er trug einen schwarzen Winkel, weil er wegen Arbeitsverweigerung ins Lager gekommen war. Als er mein blutüberströmtes Gesicht und meine blutigen
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