Aus der Hölle zurück
Reichsdeutscher!«
»Nein!« widersprach ich ihm nachdrücklich. »Ich bin Pole!« »Quatsch!« meinte der Ingenieur. »Posen, das ist unsere echte deutsche Stadt … Weshalb sind Sie ins Lager gekommen?« »Mein Vater war Offizier des polnischen Heeres, und ich war Pfadfinder. Für die Gestapo hat das gereicht.« Ich wollte ihm nichts Genaueres sagen. Wozu denn? Was wollte er eigentlich von mir?
Der Chefingenieur zog an seiner Zigarette. Nach einer Weile meinte er, gleichsam etwas gelangweilt: »Na, und was soll ich nun mit Ihnen anfangen?« Insgeheim gingen mir die schlimmsten Vermutungen durch den Kopf. Daß ein Häftling in der Fabrik einen Meister angefallen hatte, konnte nicht geheimgehalten werden. Darüber würden sowohl die Häftlinge als auch die Zivilarbeiter reden. An Spitzeln wimmelte es nur so. Wenn der Lagerkommandant davon erfuhr – besser, gar nicht daran denken! Das war kein Spiel mehr. Hier mußte ich meine Haut retten. Es gab keinen Ausweg. Plötzlich begann ich zu reden wie ein Wasserfall.
»Herr Ingenieur, ich hab’s schon gesagt, und der Kapo hat das bestätigt: Der Rothaarige ist Ihr Meister, aber er stört die Häftlinge bei der Arbeit. Bitte, verstehen Sie! Die Arbeit der Häftlinge wird sowieso von Ihrem Sonderkommando kontrolliert. Wozu müssen dann diese schwachen Häftlinge, von denen man sowieso nicht weiß, ob alle das Kriegsende erleben werden, geprügelt und mißhandelt werden? Der Rothaarige handelt – vielleicht ungewollt – zum Nachteil Ihres Staates. Die Tatsache, daß er Mitglied der NSDAP ist, hat noch nicht alles zu besagen. Durch Prügel ist noch niemals irgendwo jemand erzogen oder belehrt worden. Durch das Prügeln der Häftlinge büßen Sie Ergebnisse und Nutzen der Arbeit ein. Das aber sollte Sie interessieren.«
Ich weiß nicht, woher ich so viele Worte nahm. Ich war einfach zu allem entschlossen. »Mir ist es ganz egal, was Sie mit mir machen. Ich habe Ihnen gesagt, was ich denke. Und so denken auch die anderen Häftlinge. Wenn wir einigermaßen arbeiten sollen, darf man uns nicht grundlos schlagen.« Ich hatte das alles mit einer gewissen Effekthascherei und Begeisterung herausgesprudelt, denn der Deutsche blickte mich aufmerksam an. Besonders in jenen Augenblicken, wenn ich mir fehlende deutsche Wörter durch andere Begriffe ähnlicher Bedeutung ersetzte. Die Sache war klar. Von diesem hinter dem Schreibtisch sitzenden Zivilisten hing mein Schicksal ab. Wenn er mich dem Kommandanten meldete … Ob einer mehr oder einer weniger, darauf kam es der SS nicht mehr an. Für »freche Hunde« gab es kein Mitleid.
Der Obermeister (Chefingenieur) griff nach der auf dem Tisch liegenden angebrochenen Schachtel Zigaretten, schob sie mir zu und erklärte: »Nehmen Sie das mit und gehen Sie wieder an Ihre Arbeit. Und denken Sie daran, daß sich das, was Sie gemacht haben, nicht wiederholen darf!« »Jawohl«, gab ich aufatmend zurück. Nach einer Weile blickte ich ihn an und sagte: »Ich danke Ihnen!« Er begann zu lächeln und stand auf. Ich verstand – das Gespräch war zu Ende.
Als ich zu meiner Arbeitsgruppe zurückkehrte, traten mehrere Kollegen – Polen und Russen – auf mich zu und schüttelten mir die Hand. »Weißt du schon? Der Rothaarige ist auf eine andere Montagebrücke versetzt worden. Bravo! Was hast du ihnen da bloß erzählt!? Was zum Teufel?« »Der Kapo hat mir geholfen«, erklärte ich ihnen. »Was sagst du! Um die Deutschen steht es immer schlimmer. Einen der ihren haben sie versetzt, und dich haben sie in Ruhe gelassen. Vielleicht läßt der Rothaarige endlich unsere Gruppe in Ruhe.« »Wenn sie ihn versetzt haben, dann sicher«, meinte ich, selbst nicht ganz überzeugt davon. Bei den Deutschen wußte man nie, woran man war … Noch immer gingen mir die Worte des Ingenieurs über den Galgen im Kopf herum. Es hatte nicht viel gefehlt, und ich wäre erledigt gewesen. Nur gut, daß ich den »Rothaarigen« nicht zu doll vermöbelt hatte. Ich mußte mich besser beherrschen lernen. Vielleicht hatte ich aber auch richtig gehandelt. Die verschiedensten Gedanken schossen mir durch den Kopf.
Am Abend, nach der Rückkehr in die Baracken, ging ich zu Paul und erzählte ihm die ganze Geschichte. Als ich schloß, war seine Miene ernst geworden. Er riet mir, Boczkowski aufzusuchen. Das tat ich denn auch.
Der Lagerverwalter hörte mir aufmerksam zu und meinte dann: »Egal, wie man’s nimmt. Ich weiß nicht, ob es nicht besser wäre, wenn du von hier
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