Aus der Hölle zurück
Daher war ich ständig angespannt bemüht, meine Aufgabe in der vorgeschriebenen Viertelstunde zu schaffen. Erst nach einigen Tagen verursachte ich keine Verzögerungen mehr.
Trotz der Aufmerksamkeit und Konzentration verletzte ich mich eines Tages sehr schmerzhaft, ich riß mir eine Kante des zu befestigenden Blechs unter den Fingernagel. Ich nahm die Verletzung nicht ernst, denn es gelang mir mühelos, das Blut zu stillen. Doch nach zwei Tagen schwoll der Finger an, und ich wurde von der Arbeit ausgeschlossen. Im Revier riß man mir unter einer miserablen Narkose den ganzen Nagel heraus, desinfizierte die Wunde und verband mich. Ein paar Tage lang mußte ich nicht zur Arbeit. Damals wurde zum ersten Mal – vormittags gegen zehn – Fliegeralarm gegeben. Die Sirenen heulten lange von allen Seiten her. Die Häftlinge wurden von der Fabrik ins Lager getrieben, und die Zivilarbeiter suchten zusammen mit den Deutschen in den Luftschutzkellern Zuflucht. Irgendwo in den Wolken vernahm ich Maschinengewehrfeuer und das Brummen von Flugzeugen. Nach einiger Zeit erreichte uns aus der Ferne das Getöse von Bombeneinschlägen. Den Häftlingen wurde befohlen, in die Blocks zu gehen und sie nicht zu verlassen. Nach zwei Stunden kam die Entwarnung, und die Arbeitsgruppen kehrten an ihre Arbeit in der Halle zurück.
Damals erinnerte ich mich an Lewandowskis Empfehlungszettel, den ich in einer Naht meiner Arbeitsbluse versteckt hatte. Ich beschloß, die Gelegenheit zu nutzen, daß ich als Kranker im Lager bleiben durfte, und Verbindung zu dem Deutschen aufzunehmen, dem Lewandowski mich empfohlen hatte. Von Paul erfuhr ich, daß Boczkowski ein alter Buchenwald-Häftling war, der schon über acht Jahre im Lager saß.
Ich wartete, bis die das Lager kontrollierenden SS -Leute ihre Baracken aufsuchten, und begab mich direkt vor das Magazin. Als der Lagerverwalter in der Tür auftauchte, überreichte ich ihm den Zettel und blickte ihn hoffnungsvoll an. Er lächelte mich an und bat mich hineinzukommen. »Ich sehe, daß du als Kranker geführt wirst und bessere Verpflegung brauchst. Wart mal!« sagte er und verschwand im Lagerraum. Nach einer Weile brachte er mir ein halbes Brot und ein Stück Wurst. »Da, nimm das! Aber versteck es gut, damit dich keiner damit zu sehen bekommt, wenn du hier rausgehst!« mahnte er. »Danke schön!« Ich drückte ihm die Hand und schob das kostbare Gut nach Lagerbrauch unter den Gürtel. »Wenn du hungrig bist, kannst du in einer Woche, in zehn Tagen wiederkommen«, meinte Boczkowski zum Abschied. »Gut, nochmals vielen Dank!« gab ich zurück, überwältigt von dem Schatz, den ich besaß. Ich blickte mich um, aber es war kein SS -Mann zu sehen. Raschen Schritts marschierte ich in die Tischlerei. Ich hatte Angst, mich im Block sehen zu lassen und dumme Fragen beantworten zu müssen.
Paul empfing mich lächelnd und meinte: »Das hast du richtig gemacht. Hier kannst du in Ruhe essen, soviel du willst. Den Rest heb ich dir für morgen auf.« Ich bedankte mich und murmelte, daß ich ihm und Leon gerne etwas abgebe, denn schließlich hätten sie mir vorher auch Suppe gegeben. Paul – er hätte mein Vater sein können – gab zurück: »Es ist nett von dir, daß du an uns denkst, aber uns reicht das, was wir haben und was wir zusätzlich besorgen. Du kannst es gebrauchen. Du bist jung und mußt mehr essen. Na, lassen wir es verschwinden!« meinte er zum Schluß. Ich schnitt mir noch ein Stück Brot und einen Happen Wurst ab, und den Rest versteckte Paul in seinem Werkzeugschrank. Als ich in meinen Block zurückkam, sah ich zwei ebenfalls als Kranke geführte Häftlinge, die heimlich organisierte Kartoffeln in einem Strohsack versteckten. So versuchte jeder auf seine Weise, den Hunger zu stillen und seine Schätze vor anderen zu verheimlichen.
In der nächsten Nacht tauchten plötzlich sehr tief fliegende amerikanische Bomber auf und begannen, die benachbarten Fabriken zu bombardieren. Die Erde erzitterte unter unseren Füßen, und die Dachbinder der Baracken krachten in ihren Halterungen. Die Sirenen heulten auf, als die Bomber ihre todbringende Last längst abgeworfen hatten und wieder abgeflogen waren. Es wurde lange keine Entwarnung gegeben. Trotz der innerlichen Spannung und Besorgnis schlief ich ein. Was geschehen sollte, würde auch ohne mich geschehen – philosophierte ich vor mich hin.
Nach dem nächsten Verbandswechsel wurde ich wieder zur Arbeit geschickt. Der Finger tat zwar noch weh, aber
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