Aus der Welt
loswerden.
Aber das konnte ich natürlich nicht laut sagen. Stattdessen bot ich Adrienne einen Drink an.
»Ein kleiner Martini kann bestimmt nicht schaden«, sagte sie.
»Mit Gin oder mit Wodka?«, fragte ich.
»Du hast nicht zufällig Grey Goose da, oder?«
»Nein, nur guten alten Smirnoff.«
»Dann werde ich mich wohl damit bescheiden müssen.«
Ich eilte in die Küche und mixte die Drinks. Dann kehrte ich ins Wohnzimmer zurück, in dem Adrienne auf dem Boden saß und versuchte, sich mit meiner Tochter anzufreunden. Sie hielt einen Bauklotz nach dem anderen in die Höhe und gab Sachen von sich wie: »Kennt Emily den Buchstaben A schon? Kennt Emily den Buchstaben Z schon?« Da sie gerade mal dreizehn Monate alt war und noch nicht sprechen konnte, überstieg das ihre Fähigkeiten bei Weitem, und Adriennes schrille Stimme ließ sie in Tränen ausbrechen.
»Hat dich Tante Adrienne erschreckt?«, fragte sie in einer ohrenbetäubenden Lautstärke. Emily reagierte mit noch lauterem Gebrüll, sodass ich sie auf den Arm nehmen und in ihr Zimmer bringen musste.
»Da siehst du, warum aus Tante Adrienne nie eine Mommy Adrienne werden wird«, sagte sie, bevor wir gingen.
Es dauerte nicht lange, und Emily hatte sich wieder beruhigt. Kaum, dass sie Adrienne entronnen war, entspannte sie sich.
»Tut mir leid, dass sie dich erschreckt hat«, flüsterte ich. »Sie macht mir auch Angst.«
Bis ich ins Wohnzimmer zurückkam, hatten Adrienne und Theo ihre Drinks bereits ausgetrunken. Als sie sah, dass der Cocktailshaker leer war, bestand Adrienne darauf, in die Küche zu gehen und neue zu mixen.
»Das ist nicht nötig«, wehrte ich ab.
»Und ob das nötig ist«, sagte sie fröhlich. »Noch so ein paar kleine Martinis, und wir sind die besten Freundinnen.«
Sobald sie den Raum verlassen hatte, verkündete Theo: »Ich wusste gleich, dass ihr euch versteht.«
»Sehr witzig!«, sagte ich.
»Wirf mir bitte nicht vor, dass du keinen Sinn für Humor hast.«
»Diese Frau ist vollkommen ironiefrei«, flüsterte ich.
»Du magst einfach keine extravaganten Personen.«
»Sie ist die reinste Realsatire.«
»Und du hast wie immer an allem etwas auszusetzen.«
»Das ist nicht fair. Ich will nur dein Bestes. Unser Bestes.«
Adrienne kam mit den Drinks zurück.
»Na, ihr Turteltäubchen, ihr streitet doch nicht?«
»Nein, ich hab bloß schlechte Laune«, sagte ich, kippte meinen Martini hinunter und ließ mich auf einen zweiten ein. Wodka Martinis sind eine fantastische Droge. Nach dem ersten ist man angenehm beschwipst. Nach dem zweiten betäubt. Und nach dem dritten ist man entweder bereit, einen Hydranten zu umarmen oder sich einen zweistündigen Monolog von Adrienne Clegg anzuhören.
Zum Glück kam nach den Martinis noch das indische Essen, das Theo so liebevoll zubereitet hatte, und der eigens für diesen Anlass gekaufte teure Bordeaux. Ich lehnte mich einfach zurück und aß und trank, da Adrienne die Unterhaltung ganz alleine bestritt. Ich erfuhr von ihrer »total verkorksten Kindheit« in Vancouver, ihrer ersten kurzen Ehe mit einem Hollywood-Requisiteur, der sich als stockschwul entpuppte (vielleicht brachte sie ihn ja auf die Idee, dass es klüger war, mit Männern zu schlafen?), und von ihrem Abstecher in irgendeine Betty-Ford-Klinik, um ihre Oxycodon-Sucht loszuwerden. (»Zum Glück ist Oxy billiger als Koks«, bemerkte sie.) Ich erfuhr auch, wie sie zur Entdeckung von mindestens drei wichtigen Regisseuren beigetragen hatte (von denen ich allerdings noch nie etwas gehört hatte), und wurde über ihre bisherigen Karrierestationen in Paris und Berlin informiert. (»Ich war die erste Filmverleiherin, die nach dem Mauerfall was in Ostdeutschland bewegt hat.«) Und dann waren da natürlich noch ihre »fantastischen Jahre« in New York, wo sie »Gott und die Welt« kannte.
Ich verkraftete ihren Redeschwall ganz gut. Mein von Wodka und Wein betäubtes Gehirn schaltete auf Durchzug. Ich ließ ihren endlosen Monolog einfach über mich ergehen. Doch ihre Selbsteingenommenheit hatte auch etwas Faszinierendes: dieser extreme Narzissmus, das ständige Namedropping von Leuten aus der Filmindustrie (»Steven« … »Hugh« … »George«), die man natürlich kennen musste, die Tatsache, dass sie ihr Leben als einziges Melodram betrachtete und sich nicht einmal ansatzweise fragte, ob das die Zuhörer überhaupt interessierte. Was fand Theo nur an ihr? Nun, offenbar schien er ihre peinliche Extravaganz auf eine perverse Art zu
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