Aus heiterem Himmel: Ein Südstaaten-Krimi von TrueBlood-Autorin Charlaine Harris (Aurora Teagarden) (German Edition)
schlichtes, altes, und vielfach knarrendes öffentliches Gebäude. Der Teppichboden war äußerst strapazierfähig, gehörte er doch zu denen, die sowohl in Innenräumen als auch in Außenbereichen verlegt werden konnten, was man ihm meiner Meinung nach auch ansah. Ich musste bei seinem Anblick jedenfalls immer an totes Gras mit festgetretenen Senfflecken denken. Dazu kamen unendlich viele graue Metallregale. Die Glasfassade des Vordereingangs erstreckte sich über beide Stockwerke. Eine wunderschöne Treppe führte hoch zum ersten Stock, der eigentlich mehr eine Empore war, die sich einmal um die Eingangshalle zog. Hier oben fanden sich jede Menge Karteikästen sowie Tische und Stühle, an denen Kinder ihre Hausaufgaben erledigen oder Ahnenforscher ihre Recherchen betreiben konnten. Ein Bereich war mit Regalen und schwarzen Brettern geschickt so abgeteilt, dass ein eigener Raum entstand. Das war unsere Kinderabteilung.
Egal, wie viele Nachteile diese Bücherei haben mochte, es duftete hier immer herrlich nach Büchern. In mir weckte dieser Geruch das wunderschöne, entspannende Gefühl, als intelligenter Mensch inmitten unzähliger Generationen von Denkern und Gedanken zu weilen. Bibliotheken waren meine Leidenschaft.
Natürlich war hier nicht alles eitel Freude und Sonnenschein, denn es gab Einiges, womit ich mich abfinden musste, wenn ich an diesem wunderbaren Ort arbeiten wollte. Eine dieser Widrigkeiten kam an jenem Morgen auf mich zu, kaum hatte ich das Haus betreten: Lilian Schmidt. Die Knöpfe ihrer Bluse waren bis zum Zerreißen gespannt, der Hüftgürtel quietschte, und ihre Brauen waren zu jenem unmissverständlichen Blick hochgezogen, den wohl jeder von uns kannte. ‚Ha! Hab ich dich endlich erwischt! ‘ , sagte mir dieser Blick.
Ohne weitere Vorreden feuerte sie dann auch gleich ihre Eröffnungssalve ab: „Sind wir heute ein bisschen spät dran, hm?“
Noch blieb ich gelassen. „Ich fürchte, ja. Ich musste eine Freundin zum Arzt bringen.“
„Was, wenn wir das alle täten? Dann würde die Bücherei geschlossen bleiben, oder?“
Nachdem ich tief Luft geholt hatte, rang ich mir ein Lächeln ab.
„Würdest du mich bitte entschuldigen? Ich bin schon spät genug dran und kann deswegen leider nicht weiter mit dir plaudern.“ Ich verstaute meine Handtasche schnell im Spind. In genau zwei Minuten sollte ich eine Geschichte erzählen.
Die Bibliothekarin, die ich erst einmal vorübergehend ersetzte, war für die Kinderbuchabteilung zuständig gewesen.
Dort hockten bereits mit erwartungsvollen Gesichtern zehn Kinder im Vorschulalter. Sie hatten einen Halbkreis um einen großen Stuhl gebildet, auf den ich mich jetzt mit einem Seufzer der Erleichterung fallen ließ.
„Guten Morgen!“ Meine Fröhlichkeit hätte jeden Heißluftballon zum Aufsteigen gebracht.
„Guten Morgen!“, antwortete ein Chor aus höflichen Kinderstimmen. Hier saßen die Vorschulgruppe aus der Kindertagesstätte der First Church of God the Creator und ein oder zwei weitere Kinder, die regelmäßig zu unseren Vorlesestunden kamen. Mütter und Betreuer hatten sich mit ihren Stühlen in eine Ecke zurückgezogen, sichtlich erleichtert, die Verantwortung für ihre Schützlinge für kurze Zeit jemand anderem übertragen zu dürfen.
„Ich will euch heute von Alexander erzählen und von dem schlimmen, schlimmen Tag, den er hatte“, fing ich an, nachdem ich erst einmal verstohlen einen Blick auf das Buch geworfen hatte, das mir die heutige Ehrenamtliche, meine Freundin Lizanne Sewell, vorsorglich neben den Stuhl gelegt hatte. Es hieß „Alexander und der mistige Tag“.Die meisten Kinder sahen mich mit erwartungsvollen Gesichtern an. Ein paar allerdings schienen überall sonst hinzuschauen, nur nicht zu mir.
„Ihr hattet doch bestimmt alle schon mal einen richtig schlechten Tag, oder? Was ist denn an deinem schlechten Tag passiert, Irene?“ Die Frage richtete ich an ein kleines Mädchen mit einem wunderbar lesbaren Namensschild an der Brust. Irene schob sich den zotteligen schwarzen Pony aus den Augen und packte mit einer schmuddeligen Hand den Saum ihres T-Shirts.
„An meinem schlechten Tag hat mein Dad meine Mom und mich verlassen und ist nach Memphis gezogen“, verkündete sie.
Ich schloss kurz die Augen. Es war gerade mal zehn Uhr.
„Das war dann ja wirklich ein ganz schlechter Tag, Irene.“ Ich nickte mit ernster Miene, um der Kleinen zu zeigen, dass ich ihrem Problem die angemessene Bedeutung beimaß. „Was ist
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