Aus heiterem Himmel: Ein Südstaaten-Krimi von TrueBlood-Autorin Charlaine Harris (Aurora Teagarden) (German Edition)
Inzwischen nahm ich seine Anwesenheit in der Bücherei fast als gegeben hin.
„Wen hat Lilian denn beleidigt?“, erkundigte ich mich flüsternd.
„Cile Vernon. Hast du es nicht gehört?“
Ich schüttelte den Kopf und goss mir eine Tasse Kaffee ein. Lilian war heute mit Kaffeekochen an der Reihe gewesen, und welche Fehler die Frau sonst auch haben mochte, ihr Kaffee war prima.
„Cile wollte eins der Hexenbücher von Anne Rice ausleihen, und Lilian hat sie darauf hingewiesen, dass ihr das Buch wahrscheinlich nicht gefallen würde, es wäre voller Hexenkram und Sex. Woraufhin Cile sagte, sie sei inzwischen zweiundsechzig Jahre alt und dürfe wohl lesen, worauf sie verdammt noch mal Lust habe.“
„Das hat sie nicht gesagt!“
„Hat sie wohl. Dann ist sie zu Sam ins Büro marschiert und hat verkündet, Bibliothekarinnen, die die Bücher kommentierten, die man sich ausleihen wollte, seien dasselbe wie Zensur.“
„Sam hat bis jetzt gewartet, um sich mit Lilian über den Vorfall zu unterhalten?“
„Gestern Nachmittag ging nicht, er musste gleich nach dir gehen. Marva und er haben Bess Burns bei der Auswahl des Sarges geholfen.“
„Dann sind ihre Kinder noch nicht angekommen?“
„Sie waren gerade erst eingetroffen und völlig erledigt. Wie ich höre, sind sie stocksauer, weil jemand es gewagt hat, Jack umzubringen, aber nicht gerade am Boden zerstört, weil er jetzt nicht mehr unter uns weilt. Er soll ja ziemlich viel getrunken haben.“
Leicht schuldbewusst dachte ich an all die schnulzigen Gefühle, die Angels Schwangerschaft bei mir hervorgerufen hatte. Hier bekam ich gerade die Kehrseite der Medaille vorgeführt. Kinder und ihre Eltern verband nicht immer automatisch ein enges, liebevolles Verhältnis. Manchmal klappte es zwischen Menschen und ihren Nachkommen einfach nicht, genauso, wie es in manchen Ehen einfach nicht klappte.
Nachdenklich machte ich mich auf den Weg zu meinem Schreibtisch in der Kinderabteilung. Ein gesundes Kind auszutragen, hieß noch lange nicht, dass man danach bis ans Lebensende glücklich und zufrieden lebte. Das sollte ich mir vielleicht öfter mal vor Augen halten.
In der Kinderabteilung entdeckte ich Beverly, und mir fiel wieder ein, dass ich an diesem Morgen mit der Aushilfe zusammenarbeiten musste. Ich spürte, wie mein Tag auf der Erfolgsskala gleich noch ein Stück nach unten rutschte. Ich zwang mich zu einem freundlichen Lächeln und machte mich an die Arbeit.
Beverly war dabei, Bücher in die Regale zurückzuräumen, und murmelte dabei ununterbrochen finster vor sich hin. Dieses Murmeln gehörte zu ihren irritierendsten Angewohnheiten, zumal ich davon ausgehen durfte, dass sie oft Unfreundliches über mich äußerte, aber eben so leise, dass ich es nicht mitbekam. Weshalb wollte ich lernen, mit dieser Frau auszukommen? Obwohl ich mir gerade gestern erst sämtliche positiven Eigenschaften vorgebetet hatte, die Beverly auszeichneten, verlor ich bei ihrem mürrischen Gesicht und dem ständigen Gemurmel jeglichen Optimismus. Diese Frau war so empfindlich, dagegen war ein rohes Ei ja stabil wie ein Baseball! Alles, worum man sie bat, alles, was man in ihrer Gegenwart sagte oder tat, musste erst einmal durch eine Mauer aus Verbitterung zu ihr durchdringen.
Bei mir regten sich wieder mal altvertraute Schuldgefühle. Um sie in den Griff zu bekommen, betete ich mir mein diesbezügliches Mantra vor: Ich freute mich über jeden schwarzen Bibliotheksnutzer ebenso wie über jeden weißen, ich fand schwarze Kinder genauso süß wie weiße, ich arbeitete mit schwarzen Bibliothekarinnen genauso gut zusammen wie mit weißen. Außer mit Beverly Rillington.
Es gab Tage, an denen Beverly einfach nur ihre Arbeit tat und ich die meine. Ich hoffte aus ganzem Herzen, dies möge einer dieser Tage sein.
War es aber nicht.
Scheppernd rollte der Bücherwagen durch die Reihen. Sie schien ihn um keine Ecke bugsieren zu können, ohne anzustoßen. Das Gemurmel wurde schwächer und wieder stärker, je nachdem, ob sie dem Wagen oder einem Regal zugewandt stand. Natürlich konnte ich wieder einmal nicht verstehen, was sie sagte, aber ich hatte mehr und mehr das Gefühl, es ginge ausschließlich um mich und meine vielen Fehler.
Seufzend schloss ich den Schreibtisch auf, um mir meinen Terminkalender vorzuknöpfen. Auf der Schreibunterlage hatten bereits zwei Telefonnotizen auf mich gewartet, bei beiden ging es um Anfragen von Kindertagesstätten, die um eine spezielle Vorlesestunde baten.
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