Aus Licht gewoben
erraten, denn er drückte mich wieder an seine Schulter.
»Du hast getan, was du tun musstest«, sagte er. »Du lebst, und wir sind wieder zusammen. Alles andere ist mir egal.«
»Ich wünschte … ich wünschte, es hätte eine andere Möglichkeit gegeben«, murmelte ich. »Keiner dieser Menschen war so wie Dorwan.«
»Die einzige andere Möglichkeit hätte genauso Leben gefordert, nur wäre es deins gewesen«, sagte Oliver. »Und das wäre auch nicht ehrenhafter gewesen als das, was du getan hast.«
North und ich blieben stumm.
Oliver wollte gehen, zögerte aber. »Wirst du … es wieder tragen?« Er sah North an und hob kurz seine Hand. Ich merkte, wie North wieder unruhig herumrutschte, und mir wurde klar, wovon Oliver sprach.
»Ja«, sagte ich. »Ich werde das Armband wieder tragen.«
Oliver entspannte sich. »Ich bin dann auf dem Oberdeck.«
»Commander Swift«, rief ich, als er nach oben ging. »Danke für die Hilfe.«
Er zuckte die Schultern. »Ich bin nicht deinetwegen gekommen. Ich habe es für meinen Freund getan.«
Ich wartete, bis Oliver weg war, bevor ich North ansah.
»Er hat doch wohl nicht die Königin gemeint, oder?«, sagte North. »Das würde nämlich einen ziemlich rührenden Augenblick zunichte machen.«
Ich stieß ihm den Ellbogen in die Rippen. »Wenn alles etwas ruhiger geworden ist, solltest du versuchen, noch einmal mit ihm zu reden.«
Er lehnte seinen Kopf gegen die Wand.
»Und ich möchte mein Armband wirklich zurückhaben«, fügte ich hinzu.
»Das kann ich ja kaum glauben.«
»Du hast es mir geschenkt.« Ich konnte noch genau vor mir
sehen, wie es unbeachtet auf dem Zimmerboden der Königin gelegen hatte. »Natürlich will ich es zurückhaben.«
»Mit oder ohne Magie?«, fragte er.
Ich kaute auf meiner Unterlippe. »Was du für das Beste hältst«, sagte ich schließlich. Er griff in seine Hosentasche und holte das dünne Kettchen hervor.
»Nur um deine Magie zu verstecken«, versprach er und legte es mir um das Handgelenk. »Um sie zu kontrollieren. Es hat jetzt einen Verschluss, du kannst es also abnehmen, wenn nötig.«
Er zog mich näher an sich und strich mir mit den Fingern durch die offenen Haare. Als der Anker sich aus dem Wasser hob, gab das Schiff ein Stöhnen von sich wie von einem Tier. Wir konnten den Augenblick ausmachen, als der Wind in die Segel fuhr und uns auf den Heimweg schickte.
Ich ließ zu, dass mir die Augen langsam zufielen, und war vollkommen ruhig. Ich dachte schon, North sei eingeschlafen, da flüsterte er mir etwas ins Ohr.
»Syd, was haben sie deinen Haaren nur angetan?«
Nach weniger als einem Tag auf See erreichten wir Provincia. Wir landeten direkt hinter dem Palast, an den Stufen zum Hof. Dort lief die Königliche Hofzauberin, die von einigen Mitgliedern der Zauberergarde begleitet worden war, ungeduldig auf und ab. Ich erinnerte mich, dass ich nur ein paar Tage zuvor dort gestanden und meinen ersten Blick auf die Königin geworfen hatte. Es schien eine Ewigkeit her zu sein.
Bevor sie auch nur ein Wort sagen konnte, hielt ich Hecate das Armband hin, und sie nickte mir zu. Ich trug Hosen und ein Hemd, die North irgendwo aufgetrieben hatte, aber die
prachtvollen Gewänder der Königlichen Hofzauberin beeinträchtigten mein Selbstbewusstsein jetzt nicht mehr.
»Ich muss mit Ihnen sprechen«, sagte ich. »Umgehend.«
North sah mich überrascht an, doch das Gesicht seiner Mutter verriet keine Neugier. Nach kurzem Zögern nickte sie.
North machte Anstalten, mit uns zu kommen, aber Oliver hielt ihn zurück. Als wir die Stufen zum Palast hinaufgingen, warf ich ihm über die Schulter einen beruhigenden Blick zu.
Schweigend durchquerten wir lange Gänge und stiegen gewundene Treppen hinauf. Das Schloss kam mir jetzt ganz anders vor, dunkel und dumpf. In Auster war alles so hell, sauber und gepflegt gewesen, dass Provincia im Vergleich schien, als könne es jederzeit unter dem Gewicht von Staub und Schmutz zusammenbrechen. Wie hatte die Stadt, das ganze Königreich, so vernachlässigt werden können?
Die Einrichtung des Zimmers der Königlichen Hofzauberin war spärlich, und der einzige Schmuck bestand aus Landkarten und muffigen alten Büchern. Sie nahm in einem Ledersessel Platz und ließ mich dabei keine Sekunde aus den Augen. Ich sank auf eine Bank. Von einem Porträt auf dem Kaminsims sah eine dunkelhaarige Familie, Vater, Mutter und ihr schelmisch grinsender Sohn, auf uns hinunter.
»Ich kann nicht viel Zeit mit Ihnen
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