Aus Licht gewoben
Soldaten.
»Sie werden uns töten«, sagte Dorwan, während die Soldaten immer näher kamen. »Sie werden uns beide töten, du dummes kleines …«
Er wollte nach seinem Talisman greifen, doch trotz meiner schweren Gewänder war ich schneller. Mit aller Kraft stieß ich ihn in Richtung der Soldaten, die ihm die Arme auf den Rücken zwangen und ihn zu Boden warfen.
Jetzt war ich sein Fluch.
»Sydelle!« , schrie er.
»Auf Wiedersehen, Dorwan«, sagte ich. »Auf Nimmerwiedersehen. «
Er konnte meinem Blick ansehen, was ich vorhatte. Ich würde diesen Berg und jeden, der sich darauf befand, vernichten. Den König, seine Männer, aber vor allem Reuel Dorwan. Und wenn ich der Zerstörung nicht entkommen konnte, dann würde ich das auch in Kauf nehmen. Wenigstens wäre der Krieg vorüber, bevor er überhaupt ausbrechen konnte.
»Ergreift das Mädchen ebenfalls!«, rief der König. Ich hörte die auf mich zueilenden Soldaten, ehe ich sie sah. Mit ausgestreckter Hand brachte ich sie zum Stehen.
»Fasst mich nicht an«, sagte ich ruhig.
Dann schloss ich mit einem tiefen Atemzug die Augen und
suchte nach der Magie, die mir früher solche Angst gemacht hatte. Magie ist ein Werkzeug, hatte Pascal gesagt. Zauberer müssen sich ihr öffnen.
Ich konzentrierte mich nicht auf die Angst oder die Trauer, sondern auf den Zorn ganz tief in mir. Ich dachte an die Menschen, die mich hatten ausnutzen wollen, die mich für eine Figur in ihrem Spiel gehalten hatten, und ließ die Gefühle von Enttäuschung und Wut zu. Dieses Mal wusste ich meine Kräfte zu kontrollieren. Diese Gefühle hatte ich die ganze Zeit gehabt, und sie hatten Stürme und Erdbeben hervorgerufen. Als jetzt die Flut der Empfindungen durch mein Inneres spülte und in die Welt hinausdrängte, spürte ich die vertraute Wärme der Magie in mir aufsteigen.
Ich ergriff die Verbindung. Tausende dünner Bänder aus Licht erschienen vor meinen Augen. Sie wuchsen aus dem Boden empor, und die Wärme begann, durch jede Ader und jede Sehne meines Körpers zu kriechen. Eine kühle Brise strich mir über die Wange. Ich spürte sie kaum. Stattdessen konzentrierte ich mich auf ihr Geräusch, verstärkte es, zog daran, als wäre es greifbar. Die Kraft des Windes bauschte meinen Mantel auf und riss ihn mit sich fort, den Berghang hinunter.
Hinter uns ertönte ein erschrockener Aufschrei, als mehrere der Pferde sich auf bäumten. Ich gab nicht nach, spürte die Magie, als meine Finger den Boden berührten und ihn ein Beben durchfuhr. Ich vergrub die Finger in der Erde und zog sie mit aller Kraft zu mir heran. Das darauf folgende Erdbeben ließ mir die Zähne aufeinanderschlagen.
Ich hörte das donnernde Brüllen der Schneelawine, die von oben auf uns zugerast kam. Die königlichen Soldaten stoben auseinander und versuchten, die scheuenden Pferde von den Kutschen zu befreien.
»Euer Majestät!«, schrie einer von ihnen. »Wir müssen hier fort!«
Der König schenkte ihm keine Beachtung. Mit ehrfurchtsvollem Gesicht streckte er die Hand aus, die Handfläche nach oben gekehrt. Eine feine Schneeschicht rieselte auf uns herab, als die Lawine über uns eine Schneise in die Bäume schlug. Ihr Ächzen und Stöhnen klang wie das eines lebendigen Wesens.
In diesem Moment riss meine Verbindung zur Welt, und dann war ich mir nur noch der Stimme in meinem Kopf bewusst, die mir eindringlich zuflüsterte: Lauf, Sydelle.
Ich zerrte mir das Diadem und den Schleier vom Kopf, überließ sie dem Schnee und rannte los. Weil die bebende Erde es mir schwer machte, über die gezackten Felsen und umgestürzten Bäume zu klettern, raffte ich meine langen Röcke. Der prächtige Stoff war sofort zerfetzt und schmutzig von meiner Flucht durch das tote Gestrüpp und Geröll. Ich fühlte nur noch meine schmerzenden Lungen und das Schlagen meines Herzens. Nichts konnte mich berühren, weder die Kälte auf meiner Haut noch die Zweige und Felsen, die mir Arme und Beine zerschnitten. Nichts.
Ich rannte so schnell ich konnte, doch das war nicht schnell genug.
Die Lawine wurde immer schneller, während sie auf mich zuraste, und drängte mich auf eine Klippe zu. Verzweifelt suchte ich nach einem Ausweg, der nicht so steil war, doch der Abgrund schien sich an der ganzen Bergseite entlangzuziehen. Von meiner Position ganz an seinem Rand konnte ich über eine Baumreihe das blaue Wasser des Kanals erkennen.
Es war ein Sturz von mehreren hundert Metern, aber entschlossen, mich nicht dem Schnee zu unterwerfen,
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