Aus Licht gewoben
Wollmütze von einem Wandhaken. Sie steckte meine Haare hinein und zog sie mir tief ins Gesicht. Ich drehte mich um und betrachtete mich im Spiegel.
Als Frau allein zu reisen war gefährlich, um einiges gefährlicher als für einen jungen Mann. Solange ich für mich blieb, würde meine Reise also friedlich verlaufen.
»Ich werde Pascal ablenken«, erklärte sie. »Sie müssen sich beeilen. Leider kann ich Ihnen kein Pferd geben, ohne dass er es bemerkt.«
Da ich noch nie allein geritten war, dachte ich sowieso
nicht, dass jetzt der richtige Zeitpunkt wäre, es zum ersten Mal zu versuchen.
»Provincia liegt einen Fußmarsch von fünf bis sechs Tagen entfernt«, sagte ich. »Wenn ich sofort losgehe, kann ich es gerade noch vor Ablauf der zweimonatigen Frist schaffen, aber ich muss mich beeilen.«
»Dann sollten Sie keine Zeit mehr verlieren«, erwiderte sie und drückte meinen Arm. »Viel Glück.«
Ich wartete, bis ich die Tür hinter ihr ins Schloss fallen hörte. Meine Tasche und mein Webrahmen waren gegen Norths Bettende gelehnt, doch das, was ich brauchte, befand sich in seiner Tasche, nicht in meiner. Ich tastete zwischen den kleinen Flaschen nach dem ledernen Notizbuch und wollte es gerade einstecken, als mich seine leise Stimme aufschrecken ließ.
»Syd?« Ich drehte mich um und erwartete, seinen dunklen Augen zu begegnen. Doch sie waren geschlossen, und wieder flüsterte er meinen Namen, wie im Traum. Er konnte nicht wach sein. Ich hatte ihm das stärkste Schlafmittel gegeben, das ich seit unserer Ankunft in Arcadia hergestellt hatte.
»Ich bin ja hier«, sagte ich und streichelte seinen Arm. Sein Gesicht folgte dem Klang meiner Stimme, und ich kam kaum gegen den Kloß in meinem Hals an. »Ich gehe nicht weg.«
Ich nahm meine silberne Kette ab und spürte den Verlust ihres beruhigenden Gewichts sofort. Aber North hatte Astraeas Hilfe so viel nötiger als ich.
»Beschütze die Schwachen dieser Welt«, flüsterte ich, und das vertraute Gebet schien in diesem Moment mehr zu bedeuten als je zuvor. »Leite jene, die vom rechten Weg abgekommen sind, denn solange du über sie wachst, werden alle Wege gerade sein und alle Herzen voller Zuversicht.«
Ich drückte ihm das geflochtene Metall in die Hand und
schloss seine geschwärzten Finger darum. Dann nahm ich meine Tasche und meinen Webrahmen.
Die Häuser waren hell erleuchtet, und durch ihre Fenster schien Licht, doch im Schatten konnte ich mich unbemerkt bewegen. Ich meinte Lady Aphras Stimme hinter mir zu hören, drehte mich jedoch nicht um. Mein Blick war auf Provincia gerichtet.
Die Straße lag im Dunkeln, doch ich kannte den Weg.
Elftes Kapitel
M it nur einer Stunde Pause, die ich im hohen Gras verbrachte, wanderte ich die ganze Nacht hindurch, bis ich endlich den Fuß des Berges erreichte. Die Luft war wieder kälter geworden, und es roch nach Schnee. Ich musste feststellen, dass es ein Fehler gewesen war, Norths Decke nicht mitzunehmen. Außerdem war mein Webrahmen schwerer, als ich angenommen hatte.
Stille lag über der vorbeiziehenden Landschaft. Ich musste an Henry und seinen Vater denken, die mit ihrem klapprigen alten Fuhrwerk auf denselben Straßen gefahren waren, die ich jetzt nahm. Zuerst würde ich mich auf die Suche nach Owain machen müssen, um herauszufinden, ob er Kontakt mit den Obersten Zauberern hatte aufnehmen können.
Und dann? Würde ich Henry ausfindig machen können? Noch vor einer Woche hätte mich diese Aussicht mit gespannter Vorfreude erfüllt, doch jetzt machte sie mir eher Angst. Ich wusste nicht genau, was ich ihm erzählen würde, aber ich würde ihm ganz sicher nichts davon sagen, dass ich alleine nach Provincia gewandert war. Henry würde nicht verstehen, warum ich ein solches Risiko eingegangen war; und wie ich ihn kannte, würde er mich danach nicht mehr aus den Augen lassen. Ehe ich mich versah und bevor ich auch nur ein Wort des Protestes hervorbringen könnte, wäre ich wieder in Cliffton und mein Leben genau wie früher.
Irgendwie lief es plötzlich auf eine Entscheidung zwischen den beiden hinaus, und ich war einfach noch nicht bereit, mich ihr zu stellen.
Über die nächsten Tage erschienen mehr und mehr Männer und sogar ganze Familien auf der Straße und überholten mich in langen Karawanen aus Fuhrwerken. Ich versuchte, mit einigen der freundlicher aussehenden Gruppen mitzuhalten, jedoch ohne großen Erfolg. Nach vier Tagen Wanderung ließ mein Körper das nicht mehr zu. Ich hatte kurz angehalten, um
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