Aus Licht gewoben
dass ich keine Göttin bin?«
»Das werden sie nie erfahren«, zischte Dorwan. Seine Augen verengten sich, und sein Gesicht wurde vor Wut fast weiß. »Denn wenn der König es herausfände, würde er uns beide töten – auf entsetzliche Weise – und dann dazu übergehen, jeden Einwohner in Palmarta niederzumetzeln.«
»Aber sie werden dazu einfach mich benutzen«, sagte ich. »Ich werde diejenige sein, die all diese Menschen tötet! Hast du denn nicht das geringste bisschen Loyalität? Für Palmarta, für die anderen Zauberer? Sie werden die Ersten sein, die in diesem Krieg sterben.«
»Beruhige dich«, sagte er herablassend. »Dazu ist mein Selbsterhaltungstrieb viel zu stark. Ich hatte von vornherein vor, dich gegen sie zu verwenden. Wenn die anderen Zauberer tot sind, habe ich dein ganzes Blut für mich allein. Ich werde der einzige Zauberer sein und so mächtig, dass mich keine menschliche Armee mehr aufhalten kann.«
Ich wich vor ihm zurück. »Ich bin vielleicht ein Dschinx, aber wenigstens bin ich keine herzlose Schlange!«
Statt wütend zu werden, öffnete Dorwan überrascht den Mund. Für einen kurzen Augenblick weitete sich sein unversehrtes Auge voller Verwunderung.
»Er hat es dir also endlich erzählt?«
»Ich habe es selbst herausgefunden«, sagte ich.
Dorwan lachte auf. »Es ist wirklich eine herzzerreißende Geschichte. Er hätte dich am allermeisten gebraucht, und jetzt wird er dich niemals wiedersehen.«
»Lass mich doch einfach in Frieden.« Meine Stimme war kaum mehr als ein Flüstern.
»Du brauchst nicht zu weinen, Sydelle«, sagte er mit einem spöttischen Grinsen. »Du bist endlich zu Hause.«
Verzweifelt schloss ich die Augen und versuchte mit aller Kraft, auch aus diesem Albtraum aufzuwachen.
Den Rest des Tages tat ich, als schliefe ich, und öffnete nur zwischendurch kurz die Augen, um Beatrice zu zeigen, dass ich noch am Leben war. Doch als sie das Zimmer verließ, schwang ich augenblicklich die Beine aus dem Bett und richtete mich mühsam auf. Die dunkelrote Seide des Nachthemds, in das sie mich gekleidet hatten, fühlte sich auf meiner Haut wie ein schuppiger Panzer an. Rot, ich hasste Rot.
Meine Lieblingsfarbe, hatte North gesagt. Die Erinnerung daran ließ mich kurz innehalten.
Ich durchsuchte den kleinen Schrank und die Truhe am Fußende des Bettes, fand jedoch weder mein Kleid noch meine Schuhe. Nur einen braunen Umhang, den der alten Frau, was bedeutete, dass sie bald zurückkommen würde. Mir würde nicht viel Zeit bleiben, um einen Fluchtweg zu finden.
Als Dorwan endlich gegangen war, hatte ich durch den Türspalt sehen können, dass ich bewacht wurde. Also würde ich keinen Fuß über die Schwelle setzen, ohne dass man mich bemerkte. Die einzige Alternative stellte das kleine Fenster dar, das Beatrice einen Spalt offen gelassen hatte. Ich steckte den Kopf nach draußen und atmete die kühle, leicht salzige Luft des frühen Abends ein. Von hier oben konnte ich die dünne blaue Linie des Serpentinenkanals erkennen, allerdings auch die vielen Stockwerke, die ich hinunterstürzen konnte.
Unter dem Fenster gab es einen schmalen Vorsprung, kaum einen Fuß breit, der aber stabil genug aussah. Das musste reichen.
Ich wickelte mich in den Umhang und zog mir die Kapuze über den Kopf. Das Fenster war eng, wie ich feststellen
musste, als ich hinauskletterte. Mit eingezogenem Bauch zwängte ich mich so hindurch, dass ich mich festhalten konnte, während ich mit den nackten Füßen nach dem Vorsprung tastete.
»Tu es einfach.« Ich atmete ein letztes Mal tief durch. »Los jetzt. Tu es.«
Ich presste meinen Körper gegen den kalten Stein und hielt den Blick starr auf den Horizont gerichtet, nicht auf die Entfernung zwischen meinen Füßen und dem Erdboden. Bis zum nächsten Fenstersims gab es nichts, woran ich mich hätte festhalten können.
Auch danach wurde es nicht leichter, ich sah jedoch keine Möglichkeit, zu den Fenstern mehrere Meter unter mir hinabzuklettern. Ein letztes Fenster, und dann war die Palastmauer zu Ende.
Soweit ich sehen konnte, war das Zimmer leer und das Fenster geschlossen. Ich schlug dagegen. Einmal, und noch ein zweites Mal, aber erst mit dem dritten und vierten Schlag erreichte ich, dass der Riegel aufsprang und sich das Fenster nach innen öffnete.
Nachdem ich hindurchgeklettert war, verschwendete ich keine Zeit mehr. Mit vor Anstrengung zitternden Armen und Beinen sprang ich vom Fensterbrett und zog mir die Kapuze ins Gesicht.
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