Aus Licht gewoben
morgen, nicht wahr?«, fragte Elena nach kurzem Schweigen. »Wenn du sie zu ihm hinüberbringst, passe ich solange auf das Abendessen auf.«
»In Ordnung«, sagte Ben. »Ich hole nur eben meinen Umhang, und dann können wir gehen.«
Dankbar lächelte ich Elena zu, und sie drückte mir aufmunternd den Arm.
»Ich hätte nie gedacht …« Ich suchte nach den richtigen Worten. »Ich weiß einfach nicht, wie ich Ihnen für das danken soll, was Sie für mich getan haben.«
»Sie wissen doch, wie das ist«, sagte Elena. » Alle guten Taten werden einem auf die eine oder andere Weise vergolten.«
»Sydelle, sind Sie so weit?«, fragte Ben, während er seinen Umhang zuband. »Auf dem Markt ist es um diese Zeit immer sehr voll, also bleiben Sie dicht bei mir.«
Der Marktplatz war jetzt viel voller als vorher. Während wir uns durch die Straßen kämpften, blieb ich die ganze Zeit dicht hinter Ben. Er zog mich hinter sich her und entschuldigte sich, wenn wir jemanden anstießen. Als wir am Ende der Straße ankamen, wurde die einfache Seidenkleidung der Menschen von den blutroten Uniformen der Soldaten abgelöst. Sie marschierten die Straße entlang, klopften an Türen und hielten die Leute an, um sie zu befragen.
Bens Gesicht blieb ausdruckslos, seine Lippen ein dünner Strich. Wenn er den Verdacht hatte, dass ich der Grund für den plötzlichen Aufmarsch der Soldaten in der Stadt war, so ließ er es sich nicht anmerken.
»Sind wir …?«, begann ich, doch kaum hatten die Worte meine Lippen verlassen, da wurde ich festgehalten.
»Ein netter Versuch«, sagte eine vertraute Stimme hinter mir. »Aber wie konntet Ihr so grausam sein, Euer Volk im Stich zu lassen, Große Herrin?«
Vor dem Meer aus blutroten Uniformen war Dorwans Gesicht leichenblass. Mit einem Schritt war er bei mir und warf meine Kapuze zurück. Der Lärm um uns herum verstummte.
Als der Ring der roten Soldaten sich wie eine Schutzmauer um mich schloss, verschwand Bens Gesicht. Um uns erhob sich eine Woge aus Gebeten und Gesängen. Ausgestreckte Hände wollten mein Gesicht berühren, mein Haar, meine Arme.
Nein , dachte ich und schloss die Augen. Nein!
»Ist es nicht wunderbar?«, flüsterte Dorwan mir ins Ohr. »Angebetet und gefürchtet zu werden?«
Sechzehntes Kapitel
I ch wurde wieder in dasselbe Zimmer gebracht wie zuvor. Die alte Frau kniete neben meinem Bett und wartete auf mich. Sie stellte sich mir förmlich als meine gehorsame und ergebene Dienerin Beatrice Hostenham vor. Sofort tat es mir leid, einfach ihren Umhang genommen zu haben.
»Entschuldigt, wie Ihr bisher behandelt worden seid, Große Herrin. Ich habe den König angefleht, Euch aufzuwecken, aber er hat sich so lange geweigert. Oh, bitte, bitte, verschont uns.«
Hilflos starrte ich sie an. »Ich würde Ihnen niemals Schaden zufügen.«
»Als Ihr fortgegangen seid, haben wir befürchtet, Ihr könntet verärgert sein«, sagte sie. »Aber ich habe immer gewusst, dass Ihr uns nicht einfach verlassen würdet.«
Ich sagte nichts, als sie mich zum Anziehen hinter einen Wandschirm führte. Ihre dunklen, von grauen Strähnen durchzogenen Haare waren zu einem ordentlichen Dutt aufgesteckt. Sie trug ein rotes, mit goldenen Schlangen besticktes Kleid.
»Es wird eine formelle Begrüßungszeremonie für Euch stattfinden«, sagte sie und zog mir das Kleid über den Kopf. »Keine Sorge, Große Herrin, nur unseresgleichen darf die große Halle betreten. Wir wollten Euch mit der Gegenwart eines Astraeaners nicht beleidigen, aber der Zauberer war ein Teil der Legende um Eure Rückkehr.«
Ich ergriff die Gelegenheit. »Ja, bitte halten Sie ihn von mir fern.«
»Wenn Ihr das wünscht, dann wird es geschehen«, antwortete Beatrice. Sie nahm meine abgelegten Kleider und ließ mich zitternd hinter dem Wandschirm zusammengekauert zurück. Einen Augenblick später kam sie mit einem Stapel seidener Gewänder zurück. Sie entfaltete ein schweres Kleid, aus dem gleichen blutroten Stoff wie das ihre, die Säume mit den gleichen goldenen Schlangen bestickt. Es war wundervoll gearbeitet, aber ich hätte nichts lieber getan, als es mir vom Leib zu reißen und ins Feuer zu werfen.
»Ich werde mich jetzt Eurer Haare annehmen, Große Herrin«, sagte die alte Frau und nahm meinen Arm.
»Bitte, hören Sie auf, mich so zu nennen«, bat ich gequält. »Nennen Sie mich einfach Sydelle.«
»Wie Ihr wünscht, Große Herrin Sydelle«, sagte sie und stellte einen Stuhl in die Mitte des Zimmers. »Bitte setzt Euch,
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