Aus Licht gewoben
Neben der Tür blieb ich stehen und lauschte, ob sich Schritte näherten. Dann schlüpfte ich hinaus auf den Gang.
Zu meiner Überraschung fand ich mich, statt auf feuchten Steinen wie im Palast von Provincia, auf flauschigem rotem Teppich wieder. Auch die inneren Palastmauern waren nicht aus Stein, ja nicht einmal verputzt. Sie waren mit perfekten, ebenmäßigen Platten aus Gold getäfelt.
Ich gelangte an eine Treppe, die vermutlich von Bediensteten
benutzt wurde, und begann mit angehaltenem Atem den Abstieg. Als mein nackter Fuß den Boden erreichte, zwang ich mich, langsamer zu gehen. Der Gang war hell erleuchtet, und es gab keine Spur von Ungeziefer oder Schmutz. Zwei in blaue Seide gekleidete Frauen gingen an mir vorbei, wobei mich eine von ihnen anstieß.
»Entschuldigen Sie vielmals, Ma’am«, flüsterte die eine Frau und senkte den Kopf. »Verzeihen Sie.«
Ich nickte ihr zu und versuchte, meine Panik zu unterdrücken. Ich hatte jeden Kontakt mit den Einwohnern von Auster vermeiden wollen. Nicht nur zu meiner eigenen Sicherheit, sondern auch zu ihrer. Ich war mir nicht mehr sicher, wozu ich fähig war.
Ich folgte den Frauen einen Gang entlang, der wohl den Angestellten vorbehalten war, bis zu einer Wand aus purem Sonnenlicht. Draußen waren die Treppenstufen von üppigen grünen Gärten gesäumt, und jeder Baum und jeder Busch war in eine andere Form gebracht worden. Die Frauen unterhielten sich über alltägliche Dinge wie ihre Familien oder darüber, welches Essen sie zuzubereiten hatten. Am Fuße der Treppe verabschiedeten sie sich, und jede ging in eine andere Richtung davon.
»Entschuldigen Sie«, rief ich.
Die dunkelhaarige Frau kam zu mir herüber. »Kann ich Ihnen irgendwie behilflich sein?«
»Wie … wie komme ich zum Kanal hinunter?«, flüsterte ich. Sie sah absolut nicht furchterregend aus, eigentlich sah sie sogar ein bisschen aus wie meine Mutter.
»Oh«, sagte sie überrascht. »Das ist ein ganz schöner Fußmarsch. Wenn Sie eine Reise planen, müssen Sie sich im Dorf nach einem Schiff erkundigen. Ich muss sowieso in diese Richtung, wenn Sie Lust auf ein wenig Gesellschaft haben.«
»Ach, ist schon gut«, wehrte ich ab.
»Es macht mir wirklich nichts aus«, sagte sie und hakte sich bei mir unter. Dann senkte sie ihre Stimme und fragte: »Sind Sie in Schwierigkeiten, meine Liebe? Was ist mit Ihren Schuhen geschehen?«
»Ich gehe lieber barfuß«, antwortete ich mit trockenem Mund und zog mir die Kapuze tiefer ins Gesicht.
»Genau wie mein Sohn«, sagte sie und führte mich noch eine Treppe hinab. »Machen Sie sich keine Sorgen. Was für Schwierigkeiten es auch sein mögen, bei mir sind Sie in guten Händen.«
Kurz nachdem wir die kleine Stadt betreten hatten, kamen wir auf den schattigen Marktplatz. Sofort fielen mir die aufgespannten Seidenbahnen auf, die sich über die Stände mit Blumen, Obst und Gemüse erstreckten. Durch die kleinen Stellen, die nicht von Seide bedeckt waren, konnte man die Dächer der umstehenden Häuser sehen. Statt der unebenen steinernen Mauern von Palmartas Städten, mit Moos und dem Schmutz vieler Jahre bedeckt, gab es ebenmäßige, saubere und glatte Oberflächen. Selbst die Steine unter unseren Füßen waren weiß gekalkt. Wäre ich nicht im Land unserer Feinde gewesen und an einer Statue von Salvala, der Schwertträgerin, vorbeigekommen, wäre ich wohl voller Bewunderung gewesen. Doch so war alles, was ich empfand, ein Gefühl von Unbehagen, das sich langsam in mir ausbreitete. Ich griff nach meiner Kette, doch sie war nicht da.
Die Frau, Elena, winkte einigen der Verkäufer zu und bückte sich, um einen vom Wagen gefallenen Apfel aufzuheben. Mit einem Lächeln warf sie ihn dem Mann hinter dem Stand zu.
»Ich werde Sie mit meinem Schwager bekannt machen«,
sagte sie. »Er hat ein Fischerboot und ist einer der Wenigen, die die Erlaubnis bekommen haben, den Kanal während der Kriegsvorbereitungen zu befahren.«
Ich schüttelte den Kopf. »Sie haben schon mehr als genug für mich getan.«
»So ein Unsinn«, sagte sie. »Sie kennen das Gebot genauso gut wie ich: Lebe im Dienste anderer. Wir sind doch alle hier, um einander zu helfen.«
Ich kannte diese Worte als Astraeas, nicht als die der blutrünstigen Salvala.
»Ich habe kein Geld, um die Überfahrt zu bezahlen«, sagte ich, als wir in die nächste Straße einbogen. Diese war so breit, dass wir noch Platz genug hatten, um an den beiden Pferdefuhrwerken vorbeizugehen, deren Kutscher
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