Aus Nebel geboren
tot.
„Nein!“, flüsterte Louis, und Julien war es, als stürzte er in einen bodenlosen Abgrund. Sein bester Freund, sein Vertrauter, der Mensch, der ihm in all der Zeit am nächsten gestanden hatte, sollte tot sein? Tausend Jahre Freundschaft – vorüber? Das Bild seines toten Gefährten verschwamm ihm vor Augen, und uralter Kampfeslärm übertönte seine Gedanken. Er schüttelte den Kopf, um diese zu verdrängen, aber es gelang ihm nicht.
Julien war in Richtung der Schreie gerannt. Seine Schritte hatten dumpf durch die Gassen Jerusalems gehallt, und er fluchte. Himmel! Er war dabei, sich in diesem Gewirr zu verlaufen. Sein Schwertarm pochte, und ein warmes Rinnsal seines Blutes sickerte aus der Wunde an seiner Seite hinab.
Als er die nächste Ecke erreichte, hob er kampfbereit sein Schwert. Das Bild, welches sich ihm bot, war typisch für diese Nacht. Julien hätte sich am liebsten selbst dafür verdammt, einer der Männer zu sein, von denen man später sprechen würde, wenn man von der Nacht erzählte, in der Jerusalem gefallen war.
Drei Soldaten, mit Kreuzen auf den Kutten, drückten eine Frau zu Boden, ihre Schwerter auf deren Kehle gerichtet. Ihr derbes Lachen, ihre Späße, während der vierte, ein dicker Wanst, sie schändete, waren mehr, als Julien dulden konnte. Der blanke Hintern des Dicken hob sich, als er grunzend wieder und wieder in die weinende Frau stieß. Ihr Gesicht war verquollen von Schlägen, und aus ihrem Mund lief Blut.
Es war die Bogenschützin vom Dach.
Keiner bemerkte, dass Julien näher trat, so besessen waren sie von ihrem widerlichen Treiben.
„Im Namen Gottes!“, rief er und hob seine Klinge. „Lasst sofort von dieser Frau ab!“
Er setzte seine Waffe dem Vergewaltiger in den Nacken und registrierte zufrieden, wie dieser erstarrte.
Nicht so dessen Kameraden, die sogleich in Verteidigungshaltung gingen. Drei Schwerter, die auf ihn gerichtet waren, versprachen kein leichtes Spiel.
„Was mischst du dich ein?“, rief einer wütend, dessen krumme Nase wohl schon mehrfach gebrochen worden war. „Diese Dirne wird die Nacht nicht überleben, also warum es ihr nicht noch einmal ordentlich besorgen?“
Julien trat näher.
„Du, steig von der Frau – oder ich töte dich!“, befahl er dem Fettwanst.
„Und ihr …“, er wandte sich an den Rest der Truppe, „ihr bildet euch zu viel ein, wenn ihr annehmt, es mit euren mickrigen Schwänzen irgendeiner Frau ordentlich besorgen zu können! Denn könntet ihr das, müsstet ihr euch keine gegen ihren Willen gefügig machen, richtig?“
Er stieß den Vergewaltiger mit dem Stiefel zu Boden und stellte sich schützend vor die Frau. Sie weinte, war aber geistesgegenwärtig genug, sich mit ihrem zerschlissenen Umhang zu bedecken.
„Wofür hältst du dich?“, rief Krummnase und baute sich zu seiner vollen Größe auf. „Wenn du nicht mit ihr sterben willst, du Verräter, dann …“
„Dann was?“, kam Gabriels Stimme aus dem Dunkel in Juliens Rücken.
Die Männer wichen erschrocken zurück. Anscheinend war es etwas anderes, sich zwei gut bewaffneten Gegnern gegenüberzusehen, als einem.
Julien nickte seinem Freund dankbar zu und reichte der Frau auf dem Boden die Hand. Erst jetzt bemerkte er die stark blutende Wunde an ihrem Oberschenkel. Er war froh, Gabriel an seiner Seite zu wissen. Denn, auch wenn er glaubte, es mit diesen verlotterten Gesellen aufnehmen zu können, so galt seine Sorge doch auch der Frau, der er nicht mehr rechtzeitig hatte zu Hilfe kommen können.
„Ihr seid Verräter!“, rief der Fette und suchte den Boden nach seinem Schwert ab. „Wie könnt ihr es wagen, eure Waffen gegen die eigenen Leute zu richten?“
Abfällig ließ Julien seinen Blick über die Kerle wandern.
„Pack wie euch zähle ich sicher nicht zu meinen eigenen Leuten! Und ich will auch nicht glauben, dass Gott gutheißt, was ihr hier in seinem Namen treibt! Also stellt euch mir in den Weg, dann werde ich nicht zögern, euch direkt zu ihm zu befördern, um euch seinem Urteil zu überstellen – wenn ihr versteht!“
„Oder wir strecken euch beide nieder, und dann könnt ihr zusehen, wie wir die Kleine ficken“, lachte Krummnase und reckte kampflustig sein Schwert empor. „Wir sind in der Überzahl!“
Gabriel lachte.
„Ihr dummen Bauern! Nur, weil man euch eine Waffe in die Hand gegeben hat, seid ihr noch lange keine Krieger. Seht euch an … und überlegt, ob ihr uns wirklich erzürnen wollt – Gnade gewähren wir nur jetzt!
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