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Aus Nebel geboren

Aus Nebel geboren

Titel: Aus Nebel geboren Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emily Bold
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Geht und kämpft in einer Weise, die gottgefällig ist, dann wird niemand hiervon erfahren – oder ihr werdet durch unsere Hand sterben!“
    Der Fette zuckte mit den Schultern und stieß seinem Kameraden in die Seite.
    „Die Schlampe ist es nicht wert. Stechen wir lieber noch ein paar dieser elenden Heiden ab und ficken später die Trosshuren.“
    Zu gerne hätte Julien die Widerlinge aufgehalten und sie für ihre Tat zur Rechenschaft gezogen, aber tatsächlich würde keiner der Heerführer ihr Verhalten anprangern. Es herrschte Krieg, und die Frau, die sich an ihn klammerte, gehörte zum Feind. Sie wankte, und Julien hob sie in seine Arme.
    „Dir wird nichts geschehen. Ich bringe dich hier weg“, versprach er, und Gabriel musterte ihn missfällig.
    „Was soll das, Juls? Warum so ein Aufhebens um dieses Weib?“
    Julien zuckte mit den Schultern, ohne die Frau dabei aus den Augen zu lassen. Sie hatte das Bewusstsein verloren, und, wenn nicht bald jemand die Blutung an ihrem Bein stoppen würde, dann …
    Ihre dunklen Wimpern waren dicht wie Fächer und warfen lange Schatten auf ihre goldolivfarbenen Wangen. Ihre Lippen waren aufgeplatzt, und Blut verklebte ihren Mund und ihre Schläfe. Schon auf den ersten Blick war ihm klar, dass sie keine gottesfürchtige Christin war. Heidnisches Blut floss durch ihre Adern, aber ihre Worte wollten Julien dennoch nicht mehr aus dem Kopf gehen. War es möglich, dass dieses Weib auf dem Dach die Wahrheit gesagt hatte? Oder war er ein Narr, den vielleicht mit falscher Zunge gesprochenen Worten auch nur zugehört zu haben? Er wusste es nicht, aber er konnte sie nicht gehen lassen, ohne mehr zu erfahren.
    „Juls!“, rief Gabriel erzürnt. „Hör auf, dieses Weib anzuglotzen, und sag mir, was das soll! Unsere Männer warten auf deine Befehle, und du …“
    Julien nickte. Gabriel hatte natürlich recht. Dies war nicht der passende Moment für Zweifel.
    Er drückte seinem dunkelhaarigen Freund die Frau in die Arme und säbelte ein Stück von ihrem langen Gewand ab.
    „Ich erkläre dir das später, Gabriel“, versprach er und band die Blutung am Oberschenkel der Frau ab. Dabei kam er nicht umhin, zu bemerken, wie seidig ihre Haut im Mondlicht schimmerte. Ihre Sandalen waren mit Lederriemen bis über ihr Knie gewickelt, und der Anblick ihrer schlanken Fesseln ließ ihn wünschen, sich nicht mitten im Krieg zu befinden.
    „Bring sie in den Palast. Ich will sie sprechen, wenn sie erwacht. Glaub mir einfach, wenn ich sage, dass es wichtig ist.“
    Er verknotete die Enden ihres notdürftigen Verbandes und wollte sich gerade erheben, als eine Gruppe Männer in fremdländischen Gewändern und mit langen, gebogenen Klingen bewaffnet auf sie zukam.
    „Gib mir mein Weib!“, verlangte der offensichtliche Anführer und trat furchtlos näher. Er ließ Juliens Schwert nicht aus den Augen und kam bis auf Armeslänge heran. Das schwarze Haar hing ihm lose bis auf die nackte muskulöse Brust. Zwei gebogene Klingen in den Händen und ein kurzer Dolch im Ledergurt um die Hüften gaben ihm, zusammen mit den Männern in seinem Rücken, genug Sicherheit. Eine weite, rot-grau gestreifte Hose floss locker bis auf seine Füße, die wie die der Frau in geschnürten Sandalen steckten.
    Ein anderer Schlag von Gegner als die Bauern von eben. Trotzdem hatte Julien nicht vor, klein beizugeben.
    „Gib sie mir!“, wiederholte der Hüne, aber Julien schüttelte den Kopf.
    „Nein!“
    Er hob sein Schwert und machte so deutlich, dass er zu kämpfen gedachte. Gabriel sah ihn erstaunt an.
    „Gib sie ihm!“, flüsterte er drängend, da er seine Waffe nicht greifen konnte, solange er die Frau hielt.
    „Nein!“, wiederholte Julien bestimmt. „Schaff sie in den Palast – ich halte dir den Rücken frei.“
    „Das ist Irrsinn!“, widersprach Gabriel.
    Julien war wütend zu seinem Freund herumgefahren.
    „Das ist ein Befehl!“, hatte er gerufen und seine Waffe geschwungen, woraufhin sich die Horde auf ihn gestürzt hatte.
    Julien schüttelte den Kopf. Die Bilder ließen sich nicht vertreiben, verblassten aber zumindest soweit, dass er den kalten Leichnam seines Freundes untersuchen konnte. Ihnen blieb nicht viel Zeit. Paris war dabei zu erwachen, und auf den Stufen der Promenade lag die Leiche eines Mannes, der in ihrer Welt keine Identität hatte. Ein Mann, den es nicht geben konnte. Ein Mann, aus Nebel geboren.
    Die rubinroten Spitzen der Pfeile, die aus Gabriels Brust ragten, waren nicht zu übersehen.

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