Aus Nebel geboren
zu führen. Es gibt sicher Männer in diesem Gottesheer, die mehr Erfüllung darin finden, Kinder niederzustrecken, als ich. Wer bin ich, jenen diese Belohnung für ihren tapferen Einsatz im Namen des Herrn zu verweigern?“, gab Julien sarkastisch zurück und wandte sich ab.
Er war nicht nur in den Palast gekommen, weil er das Kommando über die Hinrichtungen trug, sondern weil dies seine letzte Gelegenheit war, mit der Frau zu sprechen, die er vor den Vergewaltigern gerettet hatte – um sie nun dem sicheren Tod zu überantworten.
Welch Ironie , dachte er, als er sich der zierlichen Frau näherte, die kraftlos auf dem kalten Stein lag. Im Dämmerlicht der Halle, die zu ihrem Gefängnis geworden war, sah sie viel zerbrechlicher aus, als in dem Moment, als sie sich rückwärts vom Dach hatte fallen lassen.
Julien nickte dem Heiden zu, der an ihrer Seite saß und ihre Hand hielt. Wieder fiel diesem das dunkle Haar bis auf die Brust, und er trug noch immer die gekreuzten Ledergurte, in denen die Säbel auf seinem Rücken gesteckt hatten.
Natürlich hatte Julien ihn entwaffnet, nachdem er sein Wort gehalten hatte.
„Töte mich, Christ!“, hatte er gefleht, als Julien ihm die Klinge an den Hals gedrückt hatte, aber Julien hatte die Rache von dessen Männer gefürchtet und ihn als Pfand für seine eigene Sicherheit bei sich behalten.
Als Julien sich nun neben die Frau kniete, spürte er den brennenden Blick des Kriegers auf sich.
„Bist du gekommen, um uns jetzt zu töten, Christ?“, fragte er, und Julien sah auf. Er hatte keine Zeit, denn Raimund hatte ihm Befehle erteilt. Dennoch war der Drang, diese Frau zu schützen, noch immer so groß, dass er auf sein Pferd gestiegen und hierhergekommen war, nur um sie zu sehen. Darum wollte er sich mit ihrem Mann nicht aufhalten.
„Ich bin nicht wegen dir hier“, wies er ihn zurecht und wandte sich an die Frau, aber der Krieger packte ihn am Arm.
„Rühr sie an, dann töte ich dich mit bloßen Händen!“, warnte er Julien.
Sofort richteten sich etliche Schwerter auf den dunkelhäutigen Krieger, und Julien riss sich los. Er kniff die Augen zu schmalen Schlitzen zusammen.
„Du Narr! Wollte ich sie schänden, würde ich es tun! Hier, vor deinen Augen – und alle meine Männer noch dazu! Dein Stolz ehrt dich, nur rettet er dich leider nicht.“
Julien gebot den Männern, ihre Waffen wegzustecken und zurück auf ihre Posten zu gehen, ehe er sich nun an die Frau wandte.
„Wie geht es dir?“, fragte er und hob ihren Rock bis zu dem Verband an ihrem Schenkel, was dem Heiden ein wütendes Knurren entlockte. Julien sah, dass sein Gegenüber die Fäuste ballte.
Die Frau stöhnte, setzte sich aber ein Stück auf. Sie lächelte.
„Willst du mich heilen, wie es der angebliche Gottessohn tat, ehe du mich den Schlächtern übergibst?“, höhnte sie.
Julien vergewisserte sich mit einem Blick über die Schulter, dass niemand ihr Gespräch mit anhörte.
„Nicht einmal Jesus könnte dich retten, wenn du weiter Schindluder mit Gottes Namen treibst“, warnte er sie und beugte sich näher zu ihr herab.
Es war verrückt. Sie befanden sich am schrecklichsten Ort, den man sich vorstellen konnte, und es war Irrsinn, jemandem nahe sein zu wollen, dessen Tod man befehligen musste. Trotzdem hatte ihn die Erinnerung an ihre Stimme hierher gelockt. Sie beherrschte seine Sprache, aber ihr orientalischer Klang hatte eine nie gekannte Intensität und erinnerte Julien an das erste Mal, als er Anis geschmeckt hatte. Es war ihm fremd gewesen, aber er hatte gleich gewusst, dass es ihm gefiel.
Sie lachte, und das erschien ihm unter den gegebenen Umständen wie ein Wunder.
„Vielleicht werde ich sterben, Christ, aber die Wahrheit stirbt nicht! Wir sind nicht die Einzigen, die die Wahrheit kennen, nur sind wir die Letzten, die wissen, wo sie sich verbirgt.“
Sie fasste nach Juliens Hand und drückte sie.
„Du bist ein guter Mann. Deine Absichten sind edel. Darum bist du hier, du denkst, du kämpfst für Gott. Dein Heldenmut und deine Ehre brachten mich hierher. Du dachtest, du rettest mich – und nun sieh, wo uns deine guten Absichten hingeführt haben.“
Julien sah sich um. Etliche Kinder weinten vor Hunger und Durst, da sie seit ihrer Gefangennahme nichts mehr zu sich genommen hatten. Sie beweinten ihren eigenen nahen Tod.
Er fuhr sich durchs Haar, wusste nicht, warum er ihren Worten überhaupt Gehör schenkte, wo sie doch gotteslästerliche Reden schwang.
„Was ist die
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