Aus Nebel geboren
Seine Schulter brannte unter dem Kettenhemd und dem ledernen Wams, sein Arm pochte bei jedem seiner Herzschläge. Diese beschleunigten sich, als er in den Palast trat, in dem die Gefangenen untergebracht waren.
Er grüßte Lamar und Louis, die Wache hielten und mit einigen von Raimunds Soldaten scherzten, während seine Augen versuchten, sich an das Dämmerlicht im Inneren der Halle zu gewöhnen.
Gabriel, der an seiner Seite war, keuchte, als ihm der bestialische Gestank entgegenschlug. Blut, Urin und andere Ausscheidungen Hunderter Menschen vermengten sich bei den heißen Temperaturen zu einem scharfen Geruch, der kaum zu ertragen war.
Kinder klammerten sich heulend an ihre Mütter. Männer, allesamt gefesselt und, den Spuren auf ihren Gesichtern nach, geschlagen und misshandelt, sahen Julien hasserfüllt entgegen. Er fühlte mit ihnen. Sie wären sicher lieber tot, als tatenlos zusehen zu müssen, wie ihre Familien niedergestreckt würden.
Matteo saß an einer der bewachten Türen. Seine Augen waren blutunterlaufen, und, obwohl er in Eile war, ging Julien zu dem jungen Kämpfer hinüber. Besorgt bemerkte er die Blässe und die fahrigen Bewegungen des Jungen.
„Du siehst müde aus.“
„Ich schlafe nicht“, gestand dieser verschämt, ohne Julien anzusehen. „Ich kann es nicht. Wann immer ich die Augen schließe, sehe ich meinen Bruder … ich wünschte, ich wäre blind, damit diese Bilder verschwinden.“
Julien legte ihm tröstend die Hand auf die Schultern.
„Mir geht es genauso, Matteo. Auch ich kann die schrecklichen Bilder nicht vergessen. Der Verlust deines Bruders wird uns alle noch lange schmerzen. Gibt es etwas, das ich für dich tun kann? Du brauchst es nur zu sagen, wir sind für dich da!“
Matteos müder Blick glitt durch den Palast über die Köpfe der Gefangenen hinweg, ehe er Julien ansah.
„Lamar sagt, du befehligst die Hinrichtungen“, stellte er tonlos fest, aber in seinem Blick lag ein Flehen, das in seiner Stimme fehlte.
Julien fröstelte trotz der Hitze des Tages, als er Matteos Bitte erahnte.
„Das ist richtig.“
Der junge Krieger erhob sich und legte die Hand auf den Knauf seines Schwertes.
„Teil mich ein!“
Es war keine Bitte, sondern ein Befehl. Julien wollte protestieren. Wollte ihm sagen, dass er den Verlust nicht würde wiedergutmachen können, indem er Rache nahm. Er wollte seinem Freund die Schuld ersparen, die dieser dabei auf sich laden würde, aber das stand ihm nicht zu. Er selbst würde ähnlich empfinden, wenn es sein Bruder gewesen wäre, dessen Gedärm sich auf den Boden dieser Halle ergossen hätte.
Noch ehe Julien eine Entscheidung traf, kam Lamar dazu. Er schlug ihm freundschaftlich auf die gesunde Schulter und nickte zum Gruß.
Sein langes dunkelblondes Haar war am Hinterkopf über dem rasierten Teil seines Kopfes zusammengebunden. Es war filzig wie sein Bart, den er für gewöhnlich ordentlich stutzte. Von seinem strahlenden Aussehen, das ihm die Herzen unzähliger Frauen zu Füßen gelegt hatte, war im Moment nicht viel übrig. Eine Schnittwunde auf der Wange war verkrustet und geschwollen und eine Augenbraue aufgeplatzt. Das Auge darunter blutunterlaufen, was das stechende Blau seines durchdringenden Blickes noch verstärkte.
„Teil ihn ein, Juls. Er hat es verdient, seinen Bruder zu sühnen und seiner Familie dadurch Wiedergutmachung zukommen zu lassen“, unterstützte Lamar Matteos Anliegen.
Julien verkniff sich einen Fluch. Wusste Lamar nicht, dass der Junge nicht das Kaliber hatte, mit so einer Tat leben zu können? Er war nicht stark genug. In der Brust des Jungen schlug ein unschuldiges Herz, und wenn er ihn zur Exekution einteilte …
„Julien, ich fordere diesen Gefallen von dir!“, verlangte nun Matteo mit fester Stimme. „Diese Heiden haben den Tod verdient. Sie haben Quirin nicht einfach umgebracht – sie haben ihn in zwei Teile gehackt!“, rief er, und seine Stimme hallte von den hohen Palastdecken wider.
„Er ist erwachsen, Juls. Gib ihm, wonach ihn verlangt“, flüsterte Lamar.
Julien sah keinen Zweifel in Matteos Blick, als er nickte.
„So sei es. Lamar, teile zusammen mit Gabriel weitere Männer ein. Niemanden aus unseren Reihen. Wir werden hier den Gefangenen die Möglichkeit geben, ihren Glauben zu Gott zu bekennen. Verwehren sie sich, eskortiert ihr sie zum Richtplatz.“
„Ist dein Platz nicht ebenfalls am Richtplatz, Julien?“
„Sie können mich zwingen, es zu befehlen, aber nicht, das Schwert selbst
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