Aus Nebel geboren
kampflos aufgeben würden.
Der kalte Schweiß lief Julien den Nacken hinab, und er wischte sich mit dem ledernen Handschuh über den Kopf. Sein Haar hatte er kurz abrasiert, damit es ihm im Kampf nicht hinderlich wäre. Nun spürte er die kurzen Strähnen durch das Leder, und für einen Moment flammte das Bild der schönen Theresa vor seinem geistigen Auge auf. Sie war wohl enttäuscht gewesen, als er ins Heilige Land aufgebrochen war, ohne zuvor um ihre Hand angehalten zu haben. Immerhin hatte er beinahe ein Jahr um sie geworben. Sie war wie ein hübscher Singvogel, zierlich, friedlich, fügsam und von angenehmen Wesen, und er hatte gedacht, dass es passabel wäre, eine Frau wie sie zu haben. Doch der Mann, der Theresa einst diese Hoffnung gemacht hatte, steckte heute nicht mehr in ihm. Und könnte sie ihn jetzt sehen, das schulterlange Haar kurz geschnitten, das viele Blut an seinen Händen und seine Seele, die durch die Erlebnisse der letzten Jahre verkümmert war, würde sie sich erschüttert von ihm abwenden.
„Hörst du, was ich sage?“, fragte Lamar eindringlich und stieß Julien an der Schulter.
Julien verdrängte die Gedanken an Frankreich. Er musste seine Sinne zusammenhalten, wollte er lebend in die Heimat zurück.
„Hier stimmt was nicht!“
Lamar hielt ihn zurück und deutete über die gebückten Köpfe ihrer Truppe hinweg auf den Haupteingang. Ein dunkler Schatten huschte vorüber. Noch ehe Julien seine Stimme erheben konnte, schlugen mit lautem Donnern die Flügeltüren zu und sperrten sie in absolute Finsternis.
Ein Hinterhalt , dachte er noch. Dann brach die Hölle los.
Fay
Paris, heute
Lasziv ließ sich Fay an der kalten Metallstange hinabgleiten. Sie kreiste ihr Becken gegen den Stahl und ließ ihren Kopf tief in den Rücken fallen. Ihre Brüste unter dem knappen glänzenden Oberteil hoben sich im Takt der Musik. Kaum jemand nahm davon Notiz. Der Schuppen war so gut wie leer. Nur einige Stammgäste lungerten an der Bar herum und warfen hin und wieder einen stumpfen Blick in ihre Richtung. Fay wusste, diese Kerle waren genauso verloren wie sie selbst. Der Tag, an dem sie sich mit genau diesem leeren Ausdruck im Spiegel ansehen würde, war nicht mehr weit.
Sie roch den Alkohol im Atem ihrer Gäste, den Schweiß vieler Tage, an denen sich diese Typen nicht gewaschen hatten, und den kalten Zigarettenrauch, der ihnen aus jeder Pore zu dringen schien. Fay hätte kotzen können. Sie war gerade dreiundzwanzig geworden, aber innerlich schon so gut wie tot. Es war ein Scheißleben, und sie fragte sich oft, warum zur Hölle sie überhaupt hatte geboren werden müssen.
Sie fasste sich in den Schritt und sank auf die Knie. Hob ihr Becken – wie ein Roboter.
Das flammend rote Haar fiel ihr ins Gesicht, und Fay schloss für einen Moment die Augen.
Wegen Chloé , dachte sie. Ich lebe nur für sie .
Der Moment der Sicherheit, ihr Gesicht versteckt unter der Haarflut, war nur kurz. Ein Pfiff vertrieb ihre Gedanken, und sie hob den Kopf, machte einen Schmollmund, wie es von ihr verlangt wurde.
Ein Kunde. Er war näher gekommen und wartete nun darauf, ihr einen Geldschein in den beinahe nicht existenten String zu stecken. Sie kannte ihn. Matt . Das war nicht sein Name, aber so nannte sie ihn, weil sich das Licht so matt auf seiner Halbglatze spiegelte. Er war häufig hier. Kam immer öfter, wenn sie auf der Bühne war. Sie schaute ihn nicht an, als er seine Hände nach ihr ausstreckte. Immer, wenn ein Kunde sie berührte, wünschte sie sich weg. Weit weg. Sie sah dann in die bunten Strahler, die sie in besonders aufreizendes Licht rücken sollten, die selbst den dünnsten Hauch von Stoff auf ihrem Körper zu durchleuchten schienen, bis Fay dachte, sie stünde so nackt, wie sie sich fühlte, vor den gaffenden Männern.
Anfassen war nur während der Happy Hour erlaubt, aber der bullige Türsteher Gino, ein Halbitaliener mit Minderwertigkeitskomplexen, vermutete Fay, nahm es nicht so genau.
Gerade jetzt kippte sich Gino einen Drink hinter die Binde und knallte sein leeres Glas auf die Theke. Er lachte schallend mit der Bardame.
Die Kippe zwischen Matts Lippen zitterte, als er ihren Hintern betatschte, und Fay drehte sich schnell zurück an die Stange. Sie sprang daran empor, nahm den Stahl zwischen ihre Schenkel und ließ ihre Zunge über das Metall gleiten.
Der Kerl musste ihr mindestens noch einen Zehner zustecken, dachte sie, denn, wie es aussah, war heute ansonsten kein Geschäft zu machen. Sie
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