Aus Nebel geboren
sagen, eine Frau in Not ausgenutzt zu haben. Damit schläft es sich schlecht ein, verstehst du?“
Er konnte es nicht lassen, sie ein wenig aufzuziehen, denn sie war – es brachte nichts, das zu leugnen – zu heiß, als dass er diesen Flirt mit ihr nicht genossen hätte.
Sie nickte verständnisvoll.
„Natürlich. Aber ich verspreche dir, Julien, an Schlaf hättest du nicht mehr gedacht, sobald ich angefangen hätte, für dich zu tanzen.“
Er sah sie an, und es fiel ihm nicht schwer, ihr zuzustimmen. Was ihm jedoch schwerfiel, war die Vorstellung, dass sie bereit war, für jeden, der ihr einen Schein zusteckte, die Hüllen fallen zu lassen. Mit mehr Ernst, als gerade noch, fragte er:
„Kannst du noch schlafen, Fay, wenn du für einen Mann getanzt hast?“
Ihr Gesicht nahm einen verschlossenen Ausdruck an. Auch für Fay schien der Flirt nun beendet, und sie wischte sich die Krümel von den Fingern. Sie sah ihn lange an, und Julien glaubte schon, sie würde ihm nicht antworten.
„Entschuldige“, murmelte er und schob seinen Teller beiseite.
„Nein, es ist okay. Du hast ja recht. Ich finde kaum Schlaf, wenn ich aus der Bar komme. Die Blicke der Kerle verfolgen mich, selbst wenn ich die Augen schließe. Und ihre ekelhaften Berührungen … sie lassen sich nicht einmal abwaschen. Aber so ist mein Leben nun einmal. Was denkst du, warum ich deinen roten, kostspieligen Klunker versteckt habe? Warum glaubst du, habe ich ihn nicht direkt zur Polizei gebracht?“
Julien sah sie schweigend an. Er kannte die Antwort, aber er ahnte, dass er es Fay schuldete, es sie sagen zu hören.
„Der Verkauf hätte für mich doch alles verändert!“
Ihre Augen verdunkelten sich, und sie stand auf, ging ins Nebenzimmer und holte sich eine Zigarette. Sie lehnte am Türrahmen, rollte die Kippe zwischen ihren Fingern, zündete sie aber nicht an. Sie sah hilflos und wütend aus. Wütend auf sich selbst? Auf ihn? Julien wusste es nicht, aber vermutlich erstreckte sich ihre Wut auf die ganze Welt.
„Warum hast du mir eigentlich nicht den Stein zum Verkauf angeboten, Fay? Warum deinen Körper?“, fragte er ernst, und erneut verspürte er beim Anblick ihrer langen, nackten Beine, ihrer Brüste unter dem Shirt und ihrer roten Locken das Verlangen, sie in seine Arme zu schließen. Aber diesmal wollte er ihr einfach Trost spenden.
Sie schüttelte den Kopf, als verstünde sie sich selbst nicht.
„Es fällt mir leichter, Menschen gleich in einem schlechten Licht zu sehen, als später von ihnen enttäuscht zu werden. Hätte ich für dich getanzt, dein Geld genommen und deine Berührung auf meiner Haut gespürt, wäre es mir leicht gefallen, dich zu verachten“, gestand sie leise.
Julien kam näher. Er nahm ihr die Zigarette aus der Hand, schnippte sie aus dem Fenster und wickelte sich eine ihrer Strähnen um den Finger. Mit der anderen Hand hob er sachte ihr Kinn an und sah ihr in die Augen.
„Ich habe dich schon vorher berührt, Fay. Im Park. Hat das nicht ausgereicht, deine Verachtung zu wecken?“
„Nein“, gestand sie mit jetzt tränennassen Augen. „Deine Berührung hat unsinnige Hoffnungen geweckt. Eine Hoffnung, die ich besser gleich zerstören will, ehe ich mich verletzbar mache.“
Julien gab ihre Haarsträhne frei, und sofort fehlte ihm das seidige Gefühl zwischen seinen Fingern.
„Hoffnung ist nichts Schlimmes, Fay. Und Angst auch nicht. Aber du musst dich nicht fürchten, denn ich werde dich nicht verletzen. Ich verlasse Paris morgen, und du wirst unbeschadet weiterleben.“
Fays Lippe zitterte, und eine einzelne Träne rann ihr über die Wange. Julien wischte sie mit dem Daumen fort.
„Jemand wie du, Julien, ist mir noch nie begegnet. Was, wenn es also genau das ist, was ich fürchte? Wenn es das ist, was mich verletzt?“, fragte sie und drängte sich an ihn.
Im nächsten Moment lagen ihre weichen Lippen auf seinen und ihre Arme um seinen Hals.
Gift?
Jerusalem, 1099
Claudios Pupillen weiteten sich in dem Moment, als die bittere Flüssigkeit seine Lippen benetzte. Er keuchte und packte Julien überrascht am Kragen. Sein Körper wurde von heftigen Krämpfen geschüttelt, als er hilflos in Juliens Arme sank.
Der wollte seinen Freund stützen, ihn beruhigen, aber er konnte nichts anderes tun, als zu verhindern, dass Claudio auf dem Boden aufschlug.
„Schnell, packt mit an!“, wies er seine Männer an, Claudio auf sein Bett zu legen, aber noch ehe sie das taten, hörte dessen Herz auf zu
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