Aus Nebel geboren
empor.
„Zieh dich aus!“
Er bedeutete ihr mit einem Nicken, selbst das Gewirr ihrer Hose um ihre Knöchel loszuwerden. Sie bückte sich, und, als sie aus ihren Schuhen und den Kleidern geschlüpft war, fühlte sie seine Hände auf ihren Schultern, die mit sanftem Druck deutlich machten, was er wollte. Sie sah ihn von unten herauf an, als sie ihre Lippen um ihn schloss.
Das Essen verlief schweigend, aber Julien bemerkte, dass Fay ihn unter gesenkten Lidern hervor beobachtete. Sie hatte stark getuschte Wimpern, die dichte Schatten auf ihre Wangen warfen und es ihm schwer machten, ihren Blick zu deuten.
„Darf ich fragen, woher du Gabriel gekannt hast?“, störte Julien ihr einvernehmliches Schweigen.
„Ich kannte ihn nicht.“
Fay zuckte mit den Schultern und trank einen Schluck.
„Er kam einfach in die Bar. Die Gäste sind vor ihm zurückgewichen, weil er blutete. Zuerst dachte ich, er sucht jemanden, weil er sich so umsah, aber dann kam er direkt zu mir auf die Bühne.“
Fay zögerte, aber Julien wollte sie nicht drängen.
„Er hat mich gepackt und … da war überall Nebel. Ich weiß nicht, was passiert ist. Ich kann dir nur sagen, dass er so verzweifelt aussah. Er sprach wirr und drückte mir einen ledernen Beutel in die Hand. Ich war starr vor Schreck ... kann mich an kaum etwas erinnern.“
„Was hat er gesagt? War jemand bei ihm? Weißt du, wer auf ihn geschossen hat?“
Julien brauchte Antworten. Er musste mehr über den schrecklichen Tod seines Freundes wissen.
„Ich weiß es nicht mehr, Julien. Das ging alles so schnell. Er sagte, du würdest mich finden, und … und mehr bekam ich nicht mit. Sein ganzes Blut … es war überall auf mir, und … und nur das bemerkte ich. Sein Blut, so warm und feucht, auf meiner Haut. Ich hatte solche Angst, ich war wie gelähmt.“
Julien verspürte einen Stich, als er an Gabriel dachte, aber auch Wut, dass er keinen anderen Weg gefunden hatte, die Wahrheit zu schützen, ohne diese unschuldige Frau hineinzuziehen. Und – ganz tief unter dieser Wut brannte die Eifersucht, dass Gabriel seine Hände an Fay gelegt hatte. Ihr nahe gewesen war, während sie …
„Keine Sorge, Fay. Dieser Tag ist bald zu Ende, und dann wird für dich alles wieder seinen normalen Gang gehen. Du bist hier leider in etwas hineingezogen worden, aber du hast es schon fast überstanden. Das verspreche ich dir“, versuchte er, sie zu beruhigen.
Fay sah ihn an. Traurig.
„Hör zu, Julien. Ich brauche das nicht. Spar dir deine Erklärungen. Ich hab etwas, das dir gehört – und gebe es dir zurück. Mach dir keine Gedanken, dass das, was mir seit gestern passiert ist, schlimmer wäre, als all die Dinge, mit denen ich mich sonst so herumschlagen muss.“
Sie steckte sich ein Stück Croissant in den Mund und kaute, während sie mit emotionsloser Stimme weitersprach.
„An einem richtig schlechten Tag – wie heute, schiebt mir also ein Kerl seine Pistole ins Höschen, an einem weniger schlechten Tag einen Zehner. Gute Tage … kenne ich nicht.“
Julien sah in das feine Gesicht vor sich. Sie war so schön, auf ihre verschlossene Weise, aber eben nur ein grauer Schatten der Frau, die sie unter anderen Umständen sein könnte. Wenn er sie doch nur beschützen könnte … aber das war nicht möglich. Sie war nur ein Staubkorn in dem Universum, für dessen Sicherheit er zu sorgen geschworen hatte. Ein wunderschönes, rot glänzendes Staubkorn …
„Habe ich dir mit meinen Problemchen den Appetit verdorben?“, fragte sie, da Julien, ganz in seine Gedanken versunken, aufgehört hatte zu essen.
Sie sah ihn herausfordernd an und schob sich ein weiteres Stück in den Mund. Dabei leckte sie verführerisch ihren Finger ab.
Julien grinste. Er war froh, das Thema vorerst zu wechseln.
„Tatsächlich hat mir die Wahrheit schon so manches Mal den Appetit verdorben.“
Er biss ins Croissant. „Aber da du vorhin Hunger in meinen Augen gesehen haben willst, sollte ich wohl zugreifen.“
Fay lachte leise und sah ihn verschmitzt an.
„Du weißt, dass ich nicht vom Essen gesprochen habe. Und ich hatte dir angeboten … zuzugreifen, aber du hattest anderes im Sinn.“
Julien schob den leeren Teller von sich und lehnte sich zurück. Es war lange her, dass er die Gesellschaft einer Frau genossen hatte. Genau genommen war es lange her, dass er überhaupt in Gesellschaft einer Frau gewesen war. Er zwinkerte.
„Da irrst du dich, Fay. Aber ich mag am Ende eines Tages nicht über mich
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