Aus Nebel geboren
schlagen.
Fassungslos sah Julien auf seinen langjährigen Freund und Waffenbruder hinunter. Obwohl Said davon gesprochen hatte, dass das Elixier zuerst den Tod bringen würde, erschütterte ihn nun der Anblick. Leblos und blass, mit seelenlosen Augen lag Claudio vor ihm. In Julien wuchsen mit jedem Atemzug, den er tat, die Zweifel. Was war geschehen? Hatte seine Leichtgläubigkeit, sein mangelnder Glaube an Gott und Jesus Christus ihm womöglich einen seiner besten Männer genommen?
„Was ist mit ihm? Ist er tot?“, verlangte Gabriel zu wissen. „Hat es ihn umgebracht?“
Lamar riss den Heiden auf die Beine und schlug ihm hart ins Gesicht. Wieder und wieder drosch er auf Said ein, bis Julien dazwischenging.
„Hör auf, Lamar!“, rief er und stieß Said auf den Boden. „Ich muss wissen, was das soll! Was hat das Elixier mit Claudio gemacht?“
Lamar wischte sich den blutbeschmierten Knöchel an seiner Hose ab und zuckte, so, als wollte er den am Boden Liegenden mit seinem Stiefel treten, ließ es aber bleiben.
„Gift, Julien! Dieser elende Bastard hat uns einen Bären aufgebunden, und nun lacht er sich ins Fäustchen, weil er uns dazu gebracht hat, einen unserer eigenen Männer zu vergiften! Sieh dir den Hurenbock doch an, Juls!“
Said hob abwehrend die Hand, als Lamar nun doch zutrat und ihn mitten in den Bauch traf.
„Warte, Christ! Warte! Ich habe gesagt, dass ich noch nie gesehen habe, wie das Elixier wirkt. Aber was man mir überliefert hat, besagt, dass es die sterbliche Hülle eines Menschen vernichtet und ihn, wie aus Nebel, wiederkehren lässt.“
Said deutete auf Claudios Leichnam.
„Gib diesem Wunder Zeit, Christ. Eine Geburt braucht auch seine Zeit.“
Lamar lachte bitter.
„Es nützt dir nichts, Zeit zu schinden. Dein Kopf gehört mir, und ich werde ihn dir mit Freuden abschlagen, wenn sich nicht erfüllt, was du behauptest.“
Wieder trat er zu, und Said spuckte Blut.
Julien vermochte es nicht, Lamar aufzuhalten. Er traute seinen Entscheidungen nicht mehr und fragte sich, ob er sich je vergeben können würde, sollte Claudio wirklich und wahrhaftig tot sein.
Arjen konnte die Attacken seines Gefährten nicht länger mit ansehen und riss Lamar von Said fort.
„Beruhige dich, Lamar, und benutze deinen Kopf. Starb nicht auch Jesus in den Augen der Welt am Kreuz? Wenn Said die Wahrheit spricht, dann müssen wir annehmen, dass auch Claudios Tod nur eine Zwischenstation ist.“
Die Männer waren nervös, und Julien konnte es ihnen nicht verdenken. Said setzte sich vorsichtig auf und wischte sich das Blut aus dem Mundwinkel, Lamar bezog neben ihm Stellung. Besorgt trat Gabriel an den Zelteingang und hob die Plane. Er spähte hinaus in die Nacht, ehe er sich wieder an seine Brüder wandte.
„Was tun wir nun? Raimund von Toulouse ist verärgert und wird dich sicher morgen sprechen wollen, Juls. Und hier kannst du ihn nicht empfangen, solange sich ein Heide und unser toter Freund hier befinden. Verweigerst du dich aber seinem Befehl weiter, wird er Soldaten schicken, die dich zu ihm bringen.“
„Ich entscheide im Morgengrauen, was ich tun werde. Lasst uns bis dahin an Claudios Seite wachen – ob dies nun sein Ende ist oder ein Anfang –, so sehe ich es als meine Pflicht, ihn nicht allein zu lassen.“
Die Männer nickten und setzten sich im Kreis um ihren toten Waffenbruder.
„Was ist mit Gerome?“, fragte Julien nach einer ganzen Weile noch einmal leise, sodass nur Cruz, der direkt neben ihm saß, es hörte, und die anderen in ihrem Halbschlaf nicht gestört wurden.
„Ich weiß nicht, Juls. Uns fiel schon bei der Hinrichtung auf, dass er nicht da war, aber das warst du ja auch nicht. Später sagte Lamar, dass er Gerome und Arnulf zuletzt im Tempel gesehen habe, als du mit dem Heiden gesprochen hast. Seither ist er verschwunden. Arnulf sah ihn wegreiten, und Gabriel hat uns am Abend den gesamten Palast und die halbe Stadt durchsuchen lassen, aber nichts. Keine Spur von ihm.“
Julien schwieg.
„Die Stadt ist in Raimunds Hand. Seine Soldaten patrouillieren in jeder Straße. Wer sollte Gerome etwas angetan haben? Es ist unwahrscheinlich, dass er tot in irgendeiner Gosse liegt.“
„Fahnenflucht?“, schlug Cruz vor und zuckte mit seinen kräftigen Schultern.
„Fahnenflucht? Jetzt, wo wir Jerusalem erobert haben? Das macht doch keinen Sinn.“
Julien grübelte noch lange über Geromes Verschwinden, konnte sich aber keinen Reim darauf machen. Er hoffte, der Krieger
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