Aus Notwehr! - Aus Notwehr! - For a House Made of Stone. Gina's Story
ehemaligen Arbeitgeber waren sicher verletzt, weil ich sie einfach so im Stich gelassen hatte, aber ich war zu jung und zu unerfahren, um zu wissen, was ich hätte tun können, um die Situation dort zu verbessern. Ich hätte nie gewagt, ihnen zu sagen, dass das Verhalten ihres Sohnes der Hauptgrund war, weshalb ich nach Hause wollte.
Sobald ich im Bus saß und er von der Haltestelle abfuhr, spürte ich, wie sich in mir allein bei dem Gedanken, dass ich nach so langer Zeit nun meine Familie wiedersehen würde, vor Aufregung alles zusammenkrampfte. Ich hatte seit Wochen von diesem Augenblick geträumt und schon halb befürchtet, er würde nie kommen. Ich konnte das Ende der Reise kaum abwarten, als der Bus sich langsam den Weg aus der Stadt in Richtung Berge bahnte, die wiederzusehen ich so herbeigesehnt hatte.
3. KAPITEL
Arbeit bei der Tante
Als der Bus mich in meiner Heimatstadt absetzte, hatte ich das Gefühl, als völlig anderer Mensch nach Hause zurückzukehren: Ich war nicht mehr das kleine Mädchen, das vor ein paar Monaten hier abgefahren war. Jetzt konnte ich mich stolz in die Brust werfen und sagen: »Ich war in Manila!« Ich glaubte, ich würde mich anhören wie eine Erwachsene, wie all die Mädchen, die zurückkamen und lässig die exotischen Namen der Städte und Länder fallen ließen, die sie bereist hatten und in denen sie wie in einem Ehrenorden gearbeitet hatten. Niemand zu Hause musste wissen, wie stark mein Heimweh gewesen war oder welche Angst ich gehabt hatte, als ein Mann in mein Schlafzimmer gekommen war. Sie sollten bloß wissen, dass die burschikose Gina »in Manila« gewesen war und sich ihren Lebensunterhalt verdient hatte.
Alle schienen sich zu freuen, mich zu sehen, und wollten mir unbedingt gleich den ganzen Klatsch von zu Hause erzählen, obwohl ich von der Reise viel zu müde war, um alles aufnehmen zu können. Niemand machte sich die Mühe, mich zu fragen, wo genau ich gewesen war und welche Erfahrungen ich gemacht hatte; sie wollten einfach ein Riesentamtam um meine Person veranstalten. Es war aufregend, im Mittelpunkt zu stehen, und ich muss mich in den Monaten meiner Abwesenheit ein bisschen verändert haben, denn es fiel mir auf, dass ein paar von
den Jungs hier anders mit mir umgingen, mir fast schon den Hof machten, obwohl ich ja erst zwölf war und für mein Alter eher jung aussah. Ich hatte mich ja vielleicht in anderer Hinsicht entwickelt, aber viel größer war ich jedenfalls nicht. Wieder auf heimischem Boden und im Schutz meiner Familie fühlte ich mich sicher genug, um zu flirten und den Jungs ein bisschen etwas vorzuflunkern - als wäre ich plötzlich eine Frau von Welt.
Man sagte mir immer wieder, wie hübsch ich geworden sei. Vielleicht hatten sie mich vorher als Selbstverständlichkeit betrachtet und sahen mich jetzt mit neuen Augen, oder es kam, weil ich schöne Kleider trug, seit ich aus der Stadt zurück war, und nicht kurze Hosen und Hemden aus dem Second-Hand-Laden wie meine Brüder. Aber egal, ich hörte die Komplimente gern, selbst wenn ich nicht recht wusste, was ich darauf sagen sollte, und rot wurde und kicherte oder einfach so tat, als hätte ich nichts gehört.
»Also«, sagte Mama, als sich die Aufregung um meine Heimkehr gelegt hatte und wir beide allein waren, »gehst du jetzt wieder zur Schule?«
»Nein.« Ich schüttelte den Kopf.
Ich hatte auf der Heimreise viel darüber nachgedacht, während ich stundenlang aus dem Fenster auf die vor überziehende Landschaft starrte; aber allein der Gedanke, wieder ins Klassenzimmer und zu den tagtäglichen Kämpfen mit diesen schikanösen Mädchen zurückzukehren, war mir schon zu viel. Es war mir peinlich, wieder in meine Klasse zu kommen, nachdem ich monatelang den Unterricht versäumt hatte, denn es war mir klar, dass die jüngeren Schülerinnen während meiner Abwesenheit vorangekommen waren und sich nun noch mehr über meine
Unwissenheit lustig machen würden. Es schien mir keinen Sinn zu ergeben, noch einmal zur Schule zu gehen. Es war zu spät, darauf zu hoffen, dass ich rasch genug aufholen würde, um doch noch Lehrerin zu werden. Mir kam das jetzt wie ein dummer Kindertraum vor.
Ich hatte mich daran gewöhnt, wie eine Erwachsene behandelt zu werden und hin und wieder auch mein eigenes Geld zur Verfügung zu haben. Die Vorstellung, jetzt wieder bloß ein Mund mehr für meine Eltern zu sein, den es zu füttern galt, war einfach undenkbar. Ich wollte für mich selbst sorgen und meinen Beitrag zum
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