Aus Notwehr! - Aus Notwehr! - For a House Made of Stone. Gina's Story
meine Familie dann später besuchte, wäre ich in der Lage, ihnen etwas Praktisches und Nützliches mitzubringen. Ich wollte ihnen so gern helfen und gelobte, dass ich, sobald ich eine Möglichkeit fände, Geld zu verdienen, ihnen ein Haus aus Stein bauen würde - mit festen Fundamenten, damit sie sicher in ihren Betten schlafen konnten und nie mehr Angst vor dem Wetter haben mussten.
Als sie zu unserer Farm kamen, mussten sie feststellen, dass der Sturm und der peitschende Regen die ganze Ernte vernichtet hatte. Sie konnten aus dem Schlamm und den umgestürzten Bäumen fast nichts mehr retten; der Marsch den Berg hinauf war doppelt so mühsam gewesen, denn die Wege waren blockiert und die Treppen weggespült.
Ich weiß heute, dass internationale Organisationen nach der Sisang-Katastrophe Hilfe in die Philippinen geschickt haben, aber damals war uns das nicht bekannt. Von dem Geld und den Hilfsgütern profitierten Leute wie meine Familie jedenfalls nicht. Wir erfuhren schließlich, dass der
Tsunami in einer Nacht sechshundertfünfzig Menschen in dieser Region das Leben gekostet und eine halbe Million obdachlos gemacht hatte. Meine Familie hatte Glück, am Leben zu sein und noch ein anderes Dach über dem Kopf zu haben, das ihnen Schutz bot.
»Tantchen«, sagte ich später an dem Tag, als meine Tränen versiegt waren und ich wieder sprechen konnte, »würdest du mir bitte Geld leihen, damit ich meiner Familie helfen kann?«
»Geld leihen?« Sie sah mich ungläubig an. »Ja, wie willst du das denn zurückzahlen?«
»Ich werde ohne Lohn arbeiten, bis die Schulden beglichen sind«, versprach ich. »Ich muss doch etwas für meine Familie tun.«
Schließlich gab sie meinem Flehen und meinen Tränen nach und lieh mir Geld im Wert von fünfzehn Euro.
»Aber bleib bloß da, bis alles zurückbezahlt ist«, sagte sie, als sie mir den Betrag widerwillig in die Hand drückte.
Ich brauchte über ein Jahr, um die Schulden abzuarbeiten. Sie stellte mir nicht nur jedes Glas und jeden Teller in Rechnung, die zu Bruch gingen, sondern ich musste auch alles bezahlen, was ich beim Bügeln beschädigte. Als mich die Tochter meiner Tante bat, die Uniform ihres Mannes zu bügeln - er war Wachmann -, passierte mir ein Fehler; das Bügeleisen war mit Kohle aufgeheizt und ließ sich nicht verstellen, jedenfalls verbrannte ich das Sakko.
»Es tut mir wirklich Leid«, sagte ich, wobei mir unweigerlich die Tränen in die Augen schossen, denn ich wusste, dass es Ärger geben würde.
»Das wird dir allerdings wirklich noch Leid tun«, sagte meine Tante, »weil ich dir das nämlich in Rechnung stellen werde.«
Und wieder war der Lohn von drei Monaten weg. Wie sollte ich bei dem Tempo je genug Geld zusammenbringen, um meiner Familie zu helfen, ein Haus aus Stein zu bauen?
4. KAPITEL
Ehe und Mutterschaft
Ich war schon vier Jahre bei meiner Tante, als ich Jun zum ersten Mal gegenüber von unserem Haus auf der anderen Straßenseite arbeiten sah. Ich war damals fünfzehn. Die ganze Zeit über hatte ich praktisch nichts anderes gemacht, als tagtäglich für andere Leute einzukaufen, zu kochen, zu putzen, zu waschen oder zu bügeln; es war mir keine Zeit geblieben, um Freundschaften zu schließen, von der Familie und den Arbeitern im Haus und im Laden einmal abgesehen. Das machte mir aber nichts aus, denn ich kannte es ja nicht anders.
In den vielen Stunden, in denen ich nur meinen Tagträumen nachhängen konnte, während ich tagein, tagaus die immer gleichen Aufgaben verrichtete, überlegte ich mir, dass ich jetzt, da ich älter war und über mehr Selbstvertrauen verfügte, wieder nach Manila gehen könnte. Halb planend, halb träumend versuchte ich einen Weg zu finden, wie ich den Teufelskreis der Armut, in dem meine Familie seit so vielen Jahren steckte, durchbrechen könnte. Es war mir klar, dass ich nie Geld für meine Mama und meinen Papa verdienen würde, wenn ich bei meiner Tante blieb; und in Sorsogon boten sich nicht viele Möglichkeiten, einen besseren Job zu finden.
Wenn meine Gedanken zu meinem ersten Aufenthalt in Manila zurückschweiften, empfand ich einen Anflug von Nostalgie - es war einfach aufregend gewesen, in dieser
großen, fremden Stadt anzukommen mit dem Gefühl, dass dort alles passieren konnte. Ich erinnerte mich noch an den Adrenalinstoß, als ich zum ersten Mal aus dem Bus ausstieg und diese fremde Welt betrat - und ich hatte das Gefühl, für ein neues großes Abenteuer bereit zu sein. Aber es war nicht so
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