Aus reiner Mordlust: Der Serienmordexperte über Thrill-Killer (German Edition)
Drang abgeholfen haben dürfte.
Unabhängig vom motivischen Hintergrund der Tat finden Leichenzerstückelungen erfahrungsgemäß überwiegend in der Wohnung des Täters oder des Opfers statt. Leider gibt es in solchen Fällen kein gesichertes Erfahrungswissen, das etwas über das Lebensalter oder die Lebensumstände des Gesuchten aussagen könnte. Nur so viel ist sicher: In den vergangenen 40 Jahren gab es in Deutschland genau 51 Leichenzergliederer, die in der Mehrzahl der Fälle zwischen 30 und 40 Jahre alt waren. Nur solange es den Ermittlern nicht gelingt, das Opfer zu identifizieren, bleibt der Täter unerreichbar.
Eine Woche später liegt der Mordkommission eine weitere Expertise aus der Gerichtsmedizin vor. Jetzt gibt es endlich Informationen zum Aussehen des Opfers, die auch für eine Öffentlichkeitsfahndung geeignet sind. Bei dem Toten handelt es sich um einen jüngeren, erwachsenen Mann, von kleiner bis mittelgroßer Statur, schlank und sportlich, mit dunkler Körperbehaarung. Auffällig sind Hautdehnungsnarben an den Oberarmen und am unteren Rücken, wie sie zum Beispiel bei Gewichts- und Muskelveränderungen typisch sind. Hat der Mann Kraftsport betrieben?
Diese wenigen Informationen eröffnen eine neue Ermittlungsebene. Denn der Täter könnte die Fingerkuppen des Opfers auch abgeschnitten haben, weil er vermutete oder wusste, dass die Fingerabdrücke des Toten bei der Kripo registriert sind. Und die Beine hat man bislang ebenfalls nicht gefunden. Hat der Täter sie andernorts entsorgt, also nicht ins Wasser geworfen, weil die Beine auffällig tätowiert waren und das Opfer sonst durch die Kripo identifiziert werden könnte? Ungewöhnlich ist auch, dass es zu dem Toten immer noch keine passende Vermisstenmeldung gibt, auch bundesweit nicht. Handelt es sich vielleicht um einen Ausländer, der in der Region inkognito gelebt hat? Jemand, eventuell ein muskelbepackter Türsteher, der im kriminellen Milieu in Ungnade gefallen und liquidiert worden ist? Sollte die Entmannung als warnendes Beispiel für Ungehorsam verstanden werden? Oder ist das Opfer im benachbarten Ausland getötet und sind seine sterblichen Überreste nur deshalb in Deutschland entsorgt worden, um die Ermittlungsbehörden jeweils auf eine falsche Fährte zu locken?
Um diese Fragen beantworten zu können, erhoffen sich die Fahnder Hinweise aus der Bevölkerung. Es sollen Zeugen mit der Kripo Kontakt aufnehmen, die etwas über einen Mann sagen können, der in seinem Umfeld seit Wochen oder Monaten fehlt. Der vielleicht auf E-Mails oder SMS-Mitteilungen nicht mehr reagiert, über soziale Netzwerke nicht erreicht werden kann, seit längerer Zeit nicht mehr im Sportverein anwesend war oder bei turnusmäßigen Treffen in Clubs, Diskotheken oder Kneipen gefehlt hat.
In den nächsten Tagen melden sich bei der Mordkommission 24 Bürger, die gutgemeinte Hinweise geben, eine heiße Spur ergibt sich daraus aber nicht. Als zusätzlicher Ansporn wird Tage darauf eine Belohnung in Höhe von 5000 Euro ausgesetzt für denjenigen, der wesentlich dazu beiträgt, dem Opfer einen Namen zu geben. Doch auch diese Maßnahme erbringt keinen Erfolg. Und in den Reihen der Mordkommission mehrt sich die Zahl der Zweifler, die befürchten, dieser Fall könnte am Ende vielleicht sogar ungelöst bleiben.
»Ich habe einen meiner Freunde seit einigen Wochen nicht mehr gesehen. Das ist merkwürdig.« Mit diesen oder ähnlichen Sätzen beginnen viele Zeugenaussagen, wenn ein Mensch vermisst gemeldet wird. Auch bei Jennifer Gross verhält es sich nicht anders. Die 23 Jahre alte Studentin ist ins Präsidium gekommen, weil sie vermutet, einem ihrer Freunde »könnte etwas zugestoßen sein«. Die Begründung für diese Annahme klingt durchaus nachvollziehbar: Der junge Mann war vor etwa sechs Wochen mit ihr und anderen Studenten am Hauptbahnhof verabredet, um gemeinsam ein Konzert von »Silbermond« zu besuchen, berichtet die junge Frau. Er ließ sich aber – ganz gegen seine sonstigen Gewohnheiten – nicht blicken, obwohl das Ticket von ihm bereits bezahlt wurde. Auch danach gab es kein Lebenszeichen: »Der ist wie vom Erdboden verschluckt.«
Bei dem Vermissten handelt es sich um Holger Brandt, 22 Jahre alt, ledig, Student der Betriebswirtschaft im dritten Semester. Erste Recherchen der Kripo bestätigen den Verdacht der Zeugin. Holger Brandt hat seit mindestens anderthalb Monaten keine Vorlesung mehr besucht, Nachbarn haben ihn ebenfalls längere Zeit nicht
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