Aus reiner Mordlust: Der Serienmordexperte über Thrill-Killer (German Edition)
gesehen. Auch sein Vater hatte in der letzten Zeit keinen Kontakt und weiß nicht, wo sich sein Sohn sonst aufhalten könnte. Die Mutter lebt im Ausland und kann zunächst nicht erreicht werden. Der jüngere Bruder des Opfers scheidet als Zeuge ebenfalls aus, er kam vor Jahren bei einem Skiunfall ums Leben.
Die nicht zu erklärende Abwesenheit von Holger Brandt deutet auf einen kriminellen Hintergrund hin. Dieser Verdacht verstärkt sich, als gesicherte Informationen zum äußeren Erscheinungsbild des Vermissten vorliegen: mittelgroß, schlank, sportlich, schwarze Haare. Alle Merkmale passen zu dem noch porösen Profil des Mordopfers vom Jachthafen.
Als zwei Kriminalbeamte Holger Brandts Anschrift aufsuchen und die Wohnung öffnen lassen, bietet sich ihnen dieses Bild: Der Briefkasten quillt über, die Nahrungsmittel im Kühlschrank sind verschimmelt, der Anrufbeantworter ist nicht abgehört worden, typische Reiseutensilien hingegen sind noch vorhanden. Von Holger Brandt keine Spur. Die Ermittler finden in der Wohnung aber auch keine Anhaltspunkte dafür, dass dort ein Verbrechen verübt worden sein könnte.
Nur ein maschinengeschriebener Brief, den die Kriminalisten auf dem Wohnzimmertisch finden, scheint die Abwesenheit des Mieters zu erklären. »Ich habe keine Lust, Teil dieses Systems zu werden, das ich nicht mag«, schreibt der Autor. »Deshalb habe ich mich mit einem Freund von außerhalb getroffen, bei dem ich vorläufig unterkomme.« Die Unterschrift fehlt. Hat Holger Brandt diesen Brief selbst verfasst? Die Ermittler nehmen das Schreiben mit, eine Zahnbürste, ein benutztes T-Shirt und Taschentücher. Auf der Grundlage von vergleichenden DNA-Analysen wird nun untersucht, ob die am Jachthafen angespülten Körperteile von Holger Brandt stammen.
24 Stunden später kommt das Ergebnis. Die Leichenteile können zweifelsfrei Holger Brandt zugeordnet werden, der Mann ist demnach an einem noch unbekannten Ort getötet worden. Sehr wahrscheinlich handelt es sich doch nicht um Abrechnung im Dunstkreis der organisierten Kriminalität, wie zwischenzeitlich erwägt wurde. Vielmehr entsteht bei den Ermittlern der Eindruck, es könnte sich um ein Beziehungsdelikt handeln. Schließlich ergibt der Brief auf dem Wohnzimmertisch nur dann Sinn, wenn erst Holger Brandts Verschwinden entdeckt worden wäre, nicht als Erstes dessen Leiche. Der junge Mann ist aber gar nicht mit einem Freund abgehauen, er wurde ermordet. Wahrscheinlich sind der Autor und der Mörder schon aus diesem Grund dieselbe Person, überlegen die Fahnder. Und höchstwahrscheinlich dürfte das Auftauchen der Leichenteile gar nicht beabsichtigt gewesen sein.
Die Ermittlungen fokussieren sich nun zunächst auf Holger Brandt, seine Vita und Lebensumstände werden akribisch durchleuchtet, Familienangehörige, Freunde, Bekannte, Nachbarn und Kommilitonen ausführlich befragt. Denn irgendwo in diesem Beziehungsgeflecht könnte es eine Verbindung zu seinem Mörder geben.
Holger Brandt wird als zweites Kind eines Computerfachmannes und einer Lehrerin in einem schleswig-holsteinischen 500-Seelen-Dorf geboren. Die Beziehung der Eltern hält nicht lange. Als Holger sieben Jahre alt ist, verlässt die Mutter wegen eines anderen Mannes die Familie. Sie lässt sich scheiden und wandert in die USA aus. Die Kinder bleiben beim Vater, der sich zwar sehr um das Wohl der Söhne bemüht, aber letztlich mit der Doppelbelastung von Familie und Beruf auf Dauer überfordert ist. Holger wird wie sein Bruder mit elf Jahren in ein Internat gegeben.
Der stets neugierige Junge gilt als hochintelligent und schafft das Abitur mit respektablen Noten. Er interessiert sich besonders für Computertechnik und Mathematik. Erst vor zwei Jahren ist er in seine jetzige Wohnung gezogen, um an der Universität Mathematik zu studieren. Während das Verhältnis zu den Eltern angespannt ist und es kaum Berührungspunkte gibt, wird Holger Brandt von seinen Freunden und Studienkollegen geschätzt und gemocht. Der junge Mann zeigt sich begeisterungsfähig, unternehmungslustig, gesellig, stets gesprächsbereit, er ist kontaktfreudig, rücksichtsvoll und freundlich. Niemand berichtet etwas Negatives über ihn. Auch dass es ihm nicht gelingt, pünktlich zu sein und seinen Alltag vernünftig zu organisieren, wird ihm nicht verübelt. Holger Brandt ist ein liebenswürdiger Chaot, der Streitereien grundsätzlich vermeidet und sich bereitwillig um Freunde kümmert, wenn es Probleme gibt.
Seine
Weitere Kostenlose Bücher