Aus reiner Mordlust: Der Serienmordexperte über Thrill-Killer (German Edition)
Persönlichkeit« gelingen. »Ich muss mich zerstören«, heißt es in dem Manuskript, »dann baue ich mir eine neue, perfekte Gussform aus Eigenschaften eines Psychopathen und gieße mich neu.« Ein Abgrund tut sich auf. Hat man es möglicherweise mit einem psychisch gestörten Menschen zu tun, der für seine Tat nur bedingt oder gar nicht verantwortlich gemacht werden kann?
Als die mit großer Spannung erwarteten Ergebnisse der gerichtsmedizinischen Analysen vorliegen, zweifelt keiner der Kriminalisten mehr an der Täterschaft von Florian Kranz. Denn: An drei Stellen des vermeintlichen Abschiedsbriefes, der in der Wohnung des Opfers auf dem Wohnzimmertisch gefunden wurde, hat man biologische Spuren des Tatverdächtigen nachweisen können. Zudem stammt das unter dem Kühlschrank des mutmaßlichen Täters entdeckte Blut zweifelsfrei von Holger Brandt. Demnach verstaute Florian Kranz die Leichenteile vorübergehend im Kühlschrank, und dabei tropfte etwas Blut ab, das später, als Kranz die Wohnung reinigte, von ihm übersehen wurde, vermuten die Ermittler.
Jetzt muss man seiner nur noch habhaft werden. Die Medien werden über den schwerwiegenden Verdacht gegen Florian Kranz informiert und die Bevölkerung auf diesem Weg gebeten, die Kripo mit Hinweisen zum Aufenthalt des Gesuchten entsprechend zu unterstützen. Die Öffentlichkeitsfahndung erstreckt sich nicht nur auf das gesamte Bundesgebiet, auch im benachbarten Ausland berichtet die Presse über den Fall. Flankierend wird im Internet ein Steckbrief mit Fahndungsfoto veröffentlicht. Das zeitnah aufgenommene Bild zeigt einen blassen Mann mit schulterlangen, dunkelblonden, gewellten Haaren, der etwas verlegen wirkt. Die hellblauen Augen, die wulstigen Lippen und die Boxernase machen das etwas aufgedunsene Gesicht unverwechselbar. Florian Kranz hat eine gewisse Ähnlichkeit mit dem amerikanischen Filmschauspieler Mickey Rourke.
In den nächsten Tagen gibt es zahlreiche Hinweise auf den Gesuchten, der sich, glaubt man den Zeugen, etwa zur selben Zeit am Kölner Hauptbahnhof und in Hamburg im Hotel »Vier Jahreszeiten« aufgehalten haben soll. Dann wird er auf einer Fähre nach Dänemark gesichtet. Und in einem Kino in Rosenheim. Schließlich soll er durch die Eingangshalle des Düsseldorfer Flughafens marschiert sein, Arm in Arm mit einer jungen Frau. Obwohl diese Mitteilungen wenig glaubhaft erscheinen, müssen Ermittlungen angestellt werden. Sisyphusarbeit.
Florian Kranz wird bei einem Freund untergekommen sein, der ihn wissentlich vor der Kripo schützt, vermuten die Fahnder, oder bei einem Bekannten, der ihm in Unkenntnis des Mordverdachts Unterschlupf gewährt, weil er von dem Fahndungsaufruf nichts mitbekommen hat. Nicht auszuschließen ist auch, dass es einen Mittäter gegeben hat, bei dem Florian Kranz sich nun versteckt hält. In jedem Fall aber dürfte es jemand sein, der den händeringend Gesuchten kennt. Deshalb werden ehemalige Anlaufadressen observiert und die Telefone von bisherigen Kontaktpersonen überwacht.
Tag für Tag, Nacht für Nacht sitzen Kriminalbeamte vor ihren Computern, hören aufgenommene Telefongespräche ab und versuchen so, aus einer unendlich erscheinenden Kette von Worten, Sätzen und Geräuschen Anhaltspunkte zum Aufenthalt des Gesuchten herauszufiltern. Anschließend müssen Wortprotokolle geschrieben werden. Es vergehen Wochen, doch niemand redet über oder spricht mit Florian Kranz. Kein Lebenszeichen. Als hätte dieser Mann aufgehört zu existieren.
Einer aufmerksamen Kriminalbeamtin ist es zu verdanken, dass sich schließlich doch noch eine Spur auftut. Denn die junge Kriminaloberkommissarin hat beim Abhören der auf ihrem Computer eingegangenen Gespräche zwar nicht die Stimme des Flüchtigen gehört, dafür aber im Hintergrund ein Räuspern; nicht ein Räuspern, sondern ein wiederkehrendes, nicht zu unterdrückendes, wohl krankhaftes. Hellhörig werden lässt die Ermittler diese Feststellung deshalb, weil Florian Kranz unter einer chronischen Tic-Störung leiden soll.
»Ein Tic ist eine unwillkürliche, rasche, wiederkehrende, nicht-rhythmische motorische (Bewegungs-)Äußerung«, besagt die wissenschaftliche Definition, »oder eine Laut-Produktion, die plötzlich einsetzt und keinem offensichtlichen Zweck dient.« Mitschüler des Berufskollegs haben der Kripo von solchen vokalen Tics bei Florian Kranz berichtet, auch einem häufigen Räuspern.
Falls die Mordkommission nun die richtige Spur verfolgen sollte, dann
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