Aus reiner Notwehr
war außer sich, und seine Stimme bebte. “Amber, sag’s ihm! Sag’s ihm!”
Amber schüttelte langsam den Kopf, ungläubig, verzweifelt. “Ach, Stephen, Stephen!”
“Deine Stiefmutter ist ziemlich erschöpft.” Nick hielt beschwichtigend eine Hand nach vorn und versuchte, möglichst ruhig zu wirken. “Sie wollte gerade schlafen gehen, und ich war schon auf dem Weg nach Hause.”
Stephen verzog verächtlich die Lippen. “Wollen Sie mich verarschen? Ich sehe doch, was hier läuft! Mann, sie kommt gerade von ‘ner Beerdigung, und Sie haben nichts Besseres zu tun, als ihr an die Wäsche zu gehen! Was sind Sie für ‘n mieses Stück Dreck!”
Amber hielt sich im Schatten der Diele, in der kein Licht brannte. “So war es nicht, Stephen! Ich hatte mich so … so aufgeregt, und Nick hat … Nick wollte nur …”
“… dich ein bisschen trösten?” Stephens Stimme nahm einen schneidend verächtlichen Tonfall an. “Weißt du, was ich glaube, Amber? Ich glaube, er wollte dir unter den Rock!”
“So, jetzt ist es aber genug, mein Junge!”
Nick hatte schon so manchen hartgesottenen Ganoven kleingekriegt, aber Stephen geriet völlig außer Rand und Band. “Ich bin nicht Ihr Junge, merken Sie sich das!”, schrie er. “Hier in diesem Haus rede ich, wie ich will! Sie haben hier überhaupt nichts zu sagen! Amber braucht Sie nicht, sie hat nämlich mich und Leo! Hauen Sie bloß ab hier!” Er zitterte vor Wut am ganzen Körper. “Und wehe, Sie rühren sie noch ein einziges Mal an!”
Nick kam sich vor wie ein perverser Unhold, als er auf dem kurzen Stück nach Hause die Straße überquerte. Der Bengel hatte völlig recht: Es ging einfach nicht an, Amber in dieser Weise auf die Pelle zu rücken, in ihrer augenblicklichen nervlichen Verfassung schon gar nicht, wo ihr Mann kaum unter der Erde war und ihr zu allem Überfluss noch dieser Waylon Escavez im Nacken saß, der ziemlich überzeugt schien, dass sie Deke auf dem Gewissen hatte. Man konnte es drehen und wenden, wie man wollte: Sein Benehmen war unakzeptabel. Als ihr Anwalt hätte er die Finger von ihr lassen müssen, und kein anständiger Kerl hätte ihre Schwäche ausnutzen dürfen. Nur, verdammt noch mal, als ihre kleine rosa Zunge über seinen Hals huschte, da war alles zu spät, da war’s um seine Selbstbeherrschung geschehen. Sie spielte sowieso die Hauptrolle in seinen Männerfantasien, schon die ganze Zeit, schon seit er in das Haus der alten Yeagers eingezogen war, da brauchte er sich nichts vorzumachen. Doch mit ihr etwas anfangen, nein, das hatte er nicht geplant. Als er sie dann jedoch in den Armen hielt, warm und weich und wohlig – wie konnte er da widerstehen?
Er merkte, wie er bei dem Gedanken eine Erektion bekam, und trabte die paar Schritte bis zur Seitentür. Wenn dieser Stephen nicht aufgetaucht wäre – heiliger Bimbam, er hätte sie glatt auf der Stelle flachgelegt und vernascht, direkt drinnen vor der Haustür! Dabei hätte Leo jeden Moment über sie stolpern können! Er stieß ein paar unterdrückte Kraftausdrücke aus und stieß die Tür auf. Im Grunde musste er diesem Bengel noch dankbar sein!
Er nahm sich ein Bier aus dem Kühlschrank, und sein Sohn trat in die Küche, in einer Hand einen Pizzakarton, in der anderen eine Getränkedose. “Na, wieder da? Alles okay drüben?”
“Escavez ist gerade abgehauen. Ist noch was übrig?”
“Klar doch!” Cody hob den Deckel von den Resten seiner Pepperoni-Pizza. “Greif zu. Ich kann auch noch eine bestellen.”
“Nee, lass mal.” Er biss ein Stück Pizza ab.
“Und wie lief’s mit Escavez?”, wollte Cody wissen. “Stephen konnte keine Minute still sitzen. Am liebsten wäre er rübergelaufen.” Er stellte seine Dose auf den Tisch und setzte sich rittlings auf einen Küchenstuhl. “Er glaubt, Escavez will Miss Amber den Mord anhängen, Dad. Ehrlich, er ist total durcheinander!”
“Da liegt er gar nicht mal so falsch, Sohnemann. Für ihn gilt sie zweifellos als Hauptverdächtige, deshalb habe ich mich ja als rechtlichen Beistand zur Verfügung gestellt. Aber sie war’s auf keinen Fall. Jetzt werden sie wohl noch andere Verdächtige unter die Lupe nehmen müssen. Dieser Russo hatte jede Menge Feinde, und jeder Spur nachzugehen, das kann dauern. Wird uns sicher noch ‘ne Weile beschäftigen, diese Geschichte. Solche Fälle können sich über Jahre hinziehen, habe ich alles schon erlebt!”
“Im Fernsehen haben sie mal eine Statistik gezeigt, nach der Morde meist
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