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Aus reiner Notwehr

Aus reiner Notwehr

Titel: Aus reiner Notwehr Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karen Young
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habe ihn darauf angesprochen, und er hat eingewilligt, sich durchchecken zu lassen.” Ein Grinsen erschien auf Sams Gesicht. “Aber bis jetzt hat er sein Versprechen noch nicht eingelöst.”
    Kate richtete ihren Blick auf den Stapel Akten vor sich. “Wir brauchen nicht unbedingt die Werbetrommel zu rühren, wir haben mehr als genug Patienten, aber Leo ist eben doch etwas Besonderes. Nur neigt er dazu, sich gesundheitlich zu vernachlässigen. Übrigens stecke ich bis Oberkante Unterlippe in Arbeit; geht dir das auch so?”
    “Na, was höre ich denn da? Hat dir Leo etwa bei der Schilderung des Arbeitspensums etwas vorgeflunkert, weil er dir die Partnerschaft schmackhaft machen wollte?”
    Sie musste lächeln. “Ich glaube, er war sich der Popularität dieser Gemeinschaftspraxis nicht bewusst. Er behandelt schon so lange Patienten scharenweise, dass er es für völlig normal hält.”
    “Aber doch immer noch vergleichsweise wenig im Verhältnis zu einer Notaufnahme, oder?”
    “Das kannst du laut sagen. Ich darf mich wirklich nicht beklagen.”
    Dennoch hätte sie heute gern darauf verzichtet zu kommen, wenn es eben möglich gewesen wäre – nicht wegen der vielen Patienten, sondern weil ihre jüngsten Attacken ihr immer noch tief in den Knochen steckten. Deshalb wollte sie sich besser nicht einer Situation aussetzen, in der ein katastrophaler Kunstfehler einen nichts ahnenden Kranken in große Gefahr bringen konnte. Jedoch war Leo für den Rest der Woche bei Stephen und Amber zu Hause geblieben, und Sam konnte es unmöglich allein schaffen. Es war aber an diesem Tage nichts passiert, was sie in dieses bizarre, gespenstische Niemandsland zwischen Traum und Albtraum hätte katapultieren können.
    Sams Miene wurde plötzlich ernst; die Ellbogen auf die Knie gestützt, beugte er sich vor. “Kate, ich …”
    Weiter kam er nicht, denn die Tür ging plötzlich auf, und ohne anzuklopfen trat Diane Crawford ein. Sie warf Kate lediglich einen abweisenden Blick zu und sah Sam an. “Sam, auf deinem Schreibtisch liegen einige Tabellen und Diagramme, die du noch überprüfen musst, bevor du Feierabend machst.”
    Sam und Kate wechselten einen irritierten Blick, aber er blieb höflich. “Okay, ich kümmere mich drum.”
    Diane blickte demonstrativ auf ihre Armbanduhr. “Ich könnte warten, wenn du in, sagen wir, fünf bis zehn Minuten drüben bist.”
    “Das werde ich wohl nicht schaffen. Aber kein Problem, Kate und ich, wir müssen ohnehin noch einiges besprechen. Also lass dich nicht aufhalten.”
    Sie zögerte kurz, zog sich aber dann zurück und machte die Tür eine Spur zu energisch hinter sich zu. Sam starrte weiter auf die Akte in seiner Hand, bis ihre Schritte im Korridor verhallten.
    Kate merkte erneut, dass sie mit dieser Diane einfach nicht warm wurde, so sehr sie es auch versuchte. “Was sind denn das für Dinge, die wir noch zu besprechen haben?”, fragte sie nach längerem Schweigen.
    “Das hier zum Beispiel.” Er schien etwas gehemmt und blickte immer noch auf das Krankenblatt, legte es dann aber auf den Schreibtisch und schob es ihr hinüber. Sie las den Namen, und ihr Herz setzte aus: Madison, Victoria Delahoussaye. Völlig überrascht sah sie ihn an.
    Er nickte. “Wir haben einige weitere Untersuchungen durchgeführt, und die Laborwerte sind Freitag eingetroffen. Deine Mutter bat mich, dir die Ergebnisse erst nach dem Straßenfestival mitzuteilen.”
    Die Akte lag ungeöffnet vor ihr, umfangreich, abgegriffen – ein düsterer Hinweis darauf, dass sie die Geschichte eines Menschen enthielt, der sehr krank war. Ohne Sam anzusehen, drehte sie sich auf ihrem Bürostuhl zum Fenster und schaute hinaus, und ihr Blick schweifte hinüber zu den Trauermyrtenbäumchen. “Sag’s mir ruhig, Sam. Ich glaube, ich spare mir die Einzelheiten. Sag mir einfach das Resultat.”
    “Es ist aber nicht gut, Kate.”
    “Das habe ich geahnt.” Spatzen pickten eifrig an etwas herum, das auf dem Bürgersteig lag.
    “Deine Mutter hat sich mit einer sehr aggressiven Chemotherapie einverstanden erklärt, und es war schlimm. Manche Patienten vertragen nuklearmedizinische Behandlungen besser, manche schlechter, aber für sie wurde es besonders schwierig. Umso mehr bedaure ich, dass der Versuch erfolglos blieb. Der Krebs hat sich ausgebreitet.”
    Als sie noch ein Kind war, hatte Kate sich ihre eigene Taktik zur Bewältigung unangenehmer oder unheimlicher Situationen angeeignet: In Gedanken versetzte sie sich kurzerhand an

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