Aus reiner Notwehr
Man steckt doch keinen wegen nichts und wieder nichts ins Gefängnis! Sie hat immer behauptet, dass die Polizei ihr den Mord anzuhängen versucht, und genauso verhält es sich auch! Aber sie war’s nicht! Ich habe nämlich geschossen!”
“In Ordnung, Stephen. Okay. Ich werd’s Pamela mitteilen. Sie steht hier neben mir, und sie geht jetzt und sagt’s dem Chief.” Er gab Pamela ein Zeichen, sie nickte und eilte hinüber zu Escavez’ Büro, dessen dröhnende Stimme kurz darauf zu hören war. Nick hoffte, er selbst würde nun den richtigen Ton für die weitere Verhandlung mit Stephen treffen.
“Wo ist Cody jetzt, Stephen?”
“Sitzt hier. Bis jetzt ist noch alles in Ordnung.”
“Kann ich mit ihm sprechen?”
“Nein. Erst will ich Amber sehen. Sie soll herkommen. Dann lasse ich Cody vielleicht laufen.”
Nick massierte sich den Nasenrücken und zwang sich zur Ruhe. “Was für eine Waffe hast du denn da?”
“Ist ‘ne Glock. Hat meinem Alten gehört. Überall lagen bei dem Schießeisen und so ‘n Scheiß ‘rum!”
Nick stöhnte leise auf, denn die Glock kannte er; eine großkalibrige, mächtige Pistole, sehr präzise in der Hand eines Experten – was Stephen zweifellos war, dank der Unterweisung durch seinen Vater. “Sei vorsichtig mit dem Ding, hörst du?”
“So was wie letztes Mal kommt nicht wieder vor.”
“Ich verlasse mich darauf, Stephen. Ich nehme dich beim Wort!”
“Lässt die Polizei Amber jetzt laufen?”
“Ja.” Nick schaute sich um und sah, wie Escavez und Sloan aus dem Gebäude stürmten. “Wie ich bereits sagte, es liegt kein Haftbefehl gegen sie vor. Wahrscheinlich wären wir innerhalb der nächsten Stunde schon auf dem Heimweg gewesen.”
“Aber sie werden nicht aufhören mit der Hetzjagd, denn sie halten Amber für die Täterin. Nur – sie irren sich! In jener Nacht schlich ich mich aus meinem Zimmer, fand ihn in seinem Auto, total besoffen, ich wusste, im Handschuhfach liegt der Revolver, ich nahm ihn raus und schoss.”
“Wenn’s so war, wird die Polizei ein formales Geständnis von dir fordern. Du kannst herkommen und es abliefern. Dazu brauchst du Cody nicht als Geisel zu nehmen!”
“Bevor ich ihn laufen lasse, will ich Amber hier haben!”, beharrte er.
In diesem Augenblick verließ Amber in Begleitung von Pamela die Vernehmungskabine, ließ ihren Blick durch den Wachraum schweifen, entdeckte Nick und eilte zu ihm. “Pamela erzählt mir gerade, dass Stephen deinen Sohn mit einer Waffe bedroht. Stimmt das tatsächlich?”
Den Hörer noch in der Hand, brachte Nick sie mit einer Handbewegung zum Schweigen. “Stephen, Amber ist nun hier. Willst du mit ihr sprechen?”
“Nein! Sehen will ich sie! Bringt sie hier rüber, und kommt ja nicht mit rein! Kapiert?” Er legte auf.
Nick knallte frustriert fluchend den Hörer auf die Gabel. Dann fasste er Amber beim Ellbogen und drängte sie zum Ausgang. “Jetzt aber los! Der Bengel hält Cody ‘ne Pistole vor den Kopf, und ich glaube, er dreht beim kleinsten Anlass durch!”
“Was hat er denn bloß?”, rief Amber außer sich. “Ist er denn völlig verrückt geworden?”
“Nicht verrückt”, entgegnete Nick. “Nur total verstört, zutiefst gekränkt, verzweifelt.”
“Hältst du es denn für eine gute Idee, dass ich zu ihm hineingehe? Wo er doch bewaffnet ist?” Amber warf Nick einen ängstlichen Blick zu. “Was will er bloß von mir?”
Jemanden, der ihn in den Selbstmord begleitet.
Der Gedanke, so spontan er war, setzte sich hartnäckig in Nicks Hinterkopf fest, erklärte er doch, warum Stephen mit solchem Nachdruck darauf bestand, Amber zu sehen, obwohl er wusste, sie befand sich auf freiem Fuß. Eine ganze Serie von Tragödien war in den letzten Tagen und Wochen über den Jungen hereingebrochen, und was er an Trost und Zuneigung erfahren hatte, war erbärmlich genug. Man musste nicht unbedingt Psychologie studiert haben, um Stephens Handeln als das zu erkennen, was es war: ein verzweifelter Hilferuf.
Sam verließ die Gemeinschaftspraxis, sobald ihn die Nachricht von der Geiselnahme erreichte. Bevor er ins Krankenhaus fuhr, um Kate zu unterrichten, machte er rasch einen Abstecher zu dem Haus in der Vermilion Lane und nahm Rücksprache mit Nick und Chief Escavez. Fernsehteams der drei großen Lokalsender in New Orleans waren vor dem Gebäude aufgefahren. Sam schaute auch kurz nach Mallory. Blass und bekümmert fürchtete sie um Leben und Gesundheit der beiden Jungen, die sie in so kurzer
Weitere Kostenlose Bücher