Aus reiner Notwehr
lange krank. Du warst kaputt, frustriert und scharf wie Nachbars Lumpi, scharf auf Ablenkung und den Kick einer außerehelichen Beziehung. Das alles hast du bekommen, aber leider noch mehr, weil jemand offensichtlich in der Tat Elaine informiert hat. Aber ich beabsichtige nicht, dir Ärger zu machen.” Sie lachte kurz auf. “Wenn du Vergebung suchst, wenn du die Absolution willst, dann wende dich an eine höhere Instanz. Eine Entschuldigung, okay, die kann ich akzeptieren. Verzeihen ist ein bisschen viel verlangt.”
Er stand auf. “Ich hätte wissen müssen, dass wir keine vernünftige Basis für ein Gespräch finden. Dass ich dich nicht verletzen wollte, habe ich dir bereits gesagt. Ich hatte nicht geahnt, dass …” Er wandte rasch sein Gesicht ab. “Ich war in dich verliebt, Kate.”
Sie rollte genervt mit den Augen. “Großer Gott, Sam, in absolut jede hättest du dich damals verliebt! Verwechsle Liebe nicht mit Begierde. Glaub mir, ich tu es auch nicht.” Sie erhob sich ebenfalls und wischte sich über ihr Kleid. “Was Mallory angeht, so werde ich die Sachlichkeit in Person sein, wenn sie mir über den Weg läuft. Sie braucht nicht zu befürchten, dass ich wieder meine Fänge in dich schlage.”
Er setzte zu einer Erwiderung an, aber sie schnitt ihm das Wort ab. “Also, nach deiner Schilderung erfuhr sie von uns und flippte aus. Ich wette zehn zu eins, dass sie das Gleiche denkt wie du: nämlich, dass ich beim Selbstmord deiner Frau die Hand mit im Spiel hatte. Ich bin zwar keine Mutter, aber eine Frau, und Teenager war ich auch mal. Bei jungen Mädchen schlagen die Hormone Purzelbaum; Mallory hat sich vorgenommen, mich zu hassen, und davon bringst du sie keinen Millimeter ab. Da musst du durch. Und wir alle wohl auch.” Sie streifte einen verrutschten Träger ihres Kleides zurecht und griff nach ihrer Handtasche. “Meine eigene Mutter ist todkrank, und Leo sieht ziemlich mitgenommen aus. Ich fürchte, du hast mich nun am Hals. Fürs Erste zumindest!”
Aus einem abgedunkelten Winkel, halb versteckt hinter den großflächigen Blättern eines Philodendrons, hatte Amber dem Intermezzo zwischen den beiden zugesehen. Zwar machten sie den Eindruck, als seien sie allein auf der Welt, aber besonders liebevoll schienen sie sich nicht zueinander zu verhalten, eher emotional angespannt, was Kate eigentlich nicht ähnlich sah. Früher hatte Amber sich oft gefragt, ob Kate bei ihrer unglaublichen Selbstdisziplin überhaupt einmal die Contenance verlieren könnte. Doch jetzt … Kate mochte sagen, was sie wollte – es gab da noch etwas, das mit ihrer Affäre zu tun hatte, etwas, das noch nicht abgeschlossen war. In höchstens ein paar Monaten, da war sich Amber sicher, würde es zwischen den beiden wieder losgehen.
Eins musste man Kate lassen: Geschmack hatte sie. Wenn man Sam so ansah … das Gesicht, die dunkle Tönung seiner Haut, der himmlische Körperbau – wie ein Arzt wirkte er nicht, eher wie ein männliches Model oder ein Athlet, jedoch nicht wie diese grotesk aufgepumpten Muskelprotze, sondern er war von einer natürlichen Eleganz, mit wundervollen Proportionen.
Zerstreut riss sie ein Blatt ab. Wieso fiel Kate immer alles in den Schoß? Wieso hatte sie immer Glück? Es war dauernd so gewesen: die besten Schulnoten, die meisten Freunde, die tollsten Klamotten, die erfolgreichste Karriere. Ärzte hatten ein hohes gesellschaftliches Prestige. Es spielte keine Rolle, dass Leo sie während des Studiums protegiert hatte; es wäre pure Dummheit gewesen, auf seine Unterstützung zu verzichten. Konnte gut sein, dass er ihr auch noch den Job in dieser Bostoner Klinik besorgt hatte, eine der absolut ersten Adressen für Mediziner. Kate hatte es immer geschafft.
Sie dagegen hatte sich immer alles versaut. Für Leo war sie immer eine Enttäuschung gewesen; das wusste sie, er brauchte es nicht zu sagen, man konnte es sehen. Jedoch hatte sich niemand je die Mühe gemacht und einmal darüber nachgedacht, dass sie – im Gegensatz zu Kate – ohne Mutter aufwachsen musste. Klar, Kate hatte keinen Vater, aber das war etwas anderes. Eine Mutter war wichtiger, besonders dann, wenn ein Vater die beste Freundin mehr mochte als die eigene Tochter.
Amber zerknüllte das Blatt und warf es weg. Aber mit all dem war nun Schluss; endlich ging der Stern von “Amber Lifestyles” auf, sie konnte einiges vorweisen: fabelhafter Aufstieg zu Ruhm und Geld, tolles Haus, prominenter, gut aussehender Mann, und in gewisser
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