Aus reiner Notwehr
verdrischt. Herrgott, was für ein Schwachsinn! Und komm mir nicht damit, dass bei dir alles ganz anders ist!”
“Sei leise, um Himmels willen!” Amber holte heftig Luft. “Soll uns jeder hören? Bei Deke und mir ist es tatsächlich anders. Du hast das vorhin missverstanden.”
Er schwieg ziemlich lange. Dann sagte er: “Wie du willst. Aber er weiß jetzt hoffentlich Bescheid, dass ich es ernst meine. Beim nächsten Mal sind’s nicht nur ein paar blaue Flecken – beim nächsten Mal schlägt er zu. Oder ist er etwa schon so weit gegangen?”
Sie seufzte, ließ die Zigarettenkippe fallen und trat sie aus. “Bitte halt dich raus, Nick. Er hat dich ohnehin schon auf dem Kieker, weil wir früher zusammen waren. Ich will mir lieber nicht vorstellen, zu was er fähig wäre, wenn er glaubt, dass zwischen uns etwas liefe.”
“Hat er mich deshalb nach der Schießerei öffentlich mit Dreck beworfen? Hat er vielleicht sogar etwas damit zu tun?”
“Unsere Romanze war nicht gerade hilfreich; aber mit der Schießerei …” Sie schüttelte den Kopf. “Er mag ‘ne Menge Fehler haben, aber das würde er nicht bringen. Auf keinen Fall. Dafür leg ich meine Hand ins Feuer.”
Nick starrte sie an. “Und rede nicht von ‘Romanze’! Wir waren damals so heiß aufeinander, wir hätten uns doch am liebsten ständig gegenseitig die Klamotten vom Leib gerissen.”
“Weil wir jung waren, Nick! Junge Leute handeln so, wenn sie entdecken, was Sex bedeutet.”
“Wer’s glaubt, wird selig!”
Sie wandte ihren Blick ab. “Lang ist’s her!”
“Wohl wahr. Aber für mich bist du immer noch eine Klassefrau. Nein, eine Schönheit.”
Der Hauch eines Lächelns legte sich auf ihre Lippen. “Du hast dich auch nicht schlecht gehalten.” Aus dem jungenhaft-attraktiven Achtzehnjährigen von damals war ein reifer, gut aussehender Mann geworden, breitschultriger zwar und größer, aber sonst unverändert, vor allem, was seine Augen betraf, diesen direkten, unverfälschten Blick, der Gedanken lesen konnte. Der Polizistenberuf passte zu ihm.
“Na ja!” Er legte ihr die Hand auf die Schulter und drückte sie leicht. “Aber lass dir nichts von ihm gefallen. Du bist nicht irgendwer! Zeigst du ihm die rote Karte, ist er weg vom Fenster, und unzählige Männer liegen dir zu Füßen.”
Als sich ein Dienstmädchen näherte, beendeten sie ihr Gespräch. “Ich muss mich um die Gäste kümmern, Nick.”
“Sicher.” Er trat etwas zurück, und seine Augen waren so unergründlich wie immer. “Ich will mich nur kurz von Leo verabschieden, dann bin ich auch weg.”
Victoria war der Gedankenaustausch zwischen Amber und Nick nicht entgangen. Auf ihrer Gartenbank etwas seitlich von der Terrasse hatte sie eine Art Wachposten gespielt, sollte Deke unerwartet auftauchen und seine Frau im Gespräch mit dem ihm verhassten Santana vorfinden. Bei seinem Alkoholkonsum war ein Eklat nicht auszuschließen, und darauf konnten alle gut verzichten, insbesondere natürlich Amber und Kate.
Nachdem Amber gegangen war, konzentrierte Victoria ihre Aufmerksamkeit auf ihre Tochter, die am Rande des Fischteichs in ein Gespräch mit Sam Delacourt vertieft war. Es kam ihr vor, als drückten die Körpersprache der beiden sowie Kates Gesichtsausdruck mehr aus als bloße Konversation. Sie befragte ihr Gedächtnis nach einer möglichen ehemaligen Verbindung zwischen Kate und Sam, fand jedoch nichts, was sie allerdings nicht weiter wunderte, denn Kate hatte sie nie in Einzelheiten ihrer Beziehungen eingeweiht. Und auch das war bei ihrem komplizierten Mutter-Tochter-Verhältnis wenig erstaunlich. Sie lagen einfach nicht auf der gleichen Wellenlänge, was zu permanenten Auseinandersetzungen geführt hatte, besonders während Kates Teenagerjahren, und der Umzug nach Boston hatte die Kluft zwischen ihnen noch vertieft. Dabei wäre Kate bass erstaunt gewesen, hätte sie gewusst, wie sehr ihrer Mutter die Einsamkeit nach ihrem Weggang zu schaffen gemacht hatte.
Victoria schloss für einen Moment müde die Augen. Die Moskitos wurden unerträglich. Sie hatte sich heute Abend zusammennehmen müssen, hätte jedoch noch größere Anstrengungen unternommen, als an dieser Party teilzunehmen, um Kate zu zeigen, wie sehr sie sich über ihre Heimkehr freute. Sie erhob sich, ging ins Haus, bahnte sich behutsam einen Weg durch die allmählich abnehmende Gästeschar und hoffte, dass sie sich im vorderen Wohnbereich, wo sich gewiss nicht so viele Gäste aufhielten, ausruhen
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