Aus reiner Notwehr
vermeiden, dass er ihr so früh am Morgen schon in die Quere kam und ihr gleich den Tag verdarb, blieb sie lieber bewusst auf dem Bürgersteig.
Sie war schon fast unmittelbar hinter seinem Wagen, als sie erkannte, dass jemand offensichtlich schlafend hinter dem Lenkrad saß. Meine Güte, zu voll, um es bis ins Haus zu schaffen, dachte sie empört. Er war also gar nicht imstande gewesen, die halbe Nachbarschaft auf der Suche nach Amber auf den Kopf zu stellen.
Mit beinahe morbider Neugier schlich sie näher, und etwas an seiner Sitzposition kam ihr merkwürdig vor. Sie kniff die Augen zusammen, mit einem Male dämmerte es ihr, und die Erkenntnis durchfuhr sie wie ein Stromstoß, ließ sie mit einem Satz zur Autotür springen. Hektisch hantierte sie am Türgriff, und als die Wagentür sich endlich öffnete, prallte sie entsetzt zurück. Ihre Hand fuhr zum Mund, ein würgendes Keuchen drang aus ihrer Kehle.
Es war Deke Russo. Aber er schlief nicht. Er war tot.
23. KAPITEL
K ate war starr vor Entsetzen. Dem Tode in Gestalt eines Unfallopfers in der Notaufnahme gegenüberzustehen, war eine Sache. Völlig anders stellte er sich dar, wenn es sich um den Mann einer engen Freundin handelte. Ihre Sinne sträubten sich gegen die Erkenntnis, nahmen aber dennoch die Einzelheiten klar und deutlich wahr. Ein klaffendes Loch im Schädel, Blut und Spritzer von Gehirnmasse an Armaturenbrett und Tür, ein Auge zerschossen, das andere blicklos, ausdruckslos. Schlaffe Finger auf der Mittelkonsole hielten eine Faustfeuerwaffe.
Sie musste sich den Mund zuhalten und gegen den aufsteigenden Brechreiz ankämpfen, wollte spontan auf dem Absatz kehrtmachen und Hals über Kopf die Flucht ergreifen, wollte den Tag noch einmal neu beginnen – ohne die widerliche Hässlichkeit eines gewaltsamen Todes. Ein Eichelhäher in einer nahen Zypresse stieß einen durchdringenden Warnlaut aus, und es war, als versetzte der scharfe Schrei ihrem schreckensstarren Herzen einen rettenden Stromstoß – sie vermochte wieder zu atmen, sich wieder zu bewegen.
Sie wusste, es war vergebliche Mühe, fühlte dennoch an Dekes Hals nach dem Puls, spürte kein Leben. Das Projektil war durch die rechte Schläfe eingedrungen und am Hinterkopf ausgetreten; ihr fiel auf, dass verhältnismäßig wenig Blut zu sehen war, abgesehen von den Flecken vorn auf dem Armaturenbrett und an der Tür, machte sich aber weiter keine Gedanken darüber. Blut klebte auch an ihren Fingern, und sie hätte gern etwas zum Abwischen gehabt.
“Ach du großer Gott!”
Neben ihr stand plötzlich Nick Santana, zwängte sich an ihr vorbei, fühlte ebenfalls nach Lebenszeichen, richtete sich auf. “Schätze, die Ultrakonservativen werden sich einen neuen Guru suchen müssen. Der König ist mausetot.” Er wischte sich das Blut mit einem Taschentuch ab und reichte es ihr. “Da rufen wir mal am besten die Elite von Bayou Blanc an.” Dann sah er sie an und verstand. “Kate! Meine Güte, du bist ja weiß wie die Wand! Geht’s wieder?”
Kate nickte. Er fragte nach Amber, und sie setzte ihn über die vergangene Nacht ins Bild. “Und Stephen?”, wollte er wissen.
“Ich nehme an, drinnen bei Leo.” Sie musste ganz tief Luft holen.
Nick sah zur Garage hinüber. “Hat er noch das Telefon auf der Werkbank, wie in alten Zeiten? Dekes Autotelefon dürfen wir wegen der Spurensicherung nicht benutzen; das hier ist ein Tatort.”
Ehe Nick sie aufhalten konnte, lehnte Kate sich vorsichtig in das Auto hinein, nahm die Fernbedienung für den elektronischen Toröffner von der Sonnenblende und drückte auf den Knopf. Das Tor schwang geräuschlos nach oben, Nick duckte sich unter ihm hindurch in die Garage, griff nach dem alten Telefon und wählte die Notrufnummer. Kate vernahm, wie er in kurzen, präzisen Angaben die notwendigen Informationen gab; danach legte er auf, wählte neu und sah zu ihr herüber.
“Sam? Nick hier”, hörte sie ihn sagen. “Sam, wir haben hier gerade Deke Russo tot in seinem Wagen in Leos Einfahrt vorgefunden. Kopfschuss.” Er machte eine kurze Pause, lauschte und betrachtete Dekes Leiche. “Ja, sieht nach Selbstmord aus, hält die Tatwaffe noch in der Hand, ich habe die Polizei verständigt, dachte aber, dass Sie vielleicht dabei sein möchten, wenn ich Leo informiere … Nein, aber Kate ist hier … Ja, sie hat ihn vor ein paar Minuten gefunden. Ich holte gerade die Zeitung herein und sah sie die Wagentür öffnen … Nein, sie ist bei Victoria … hat die Nacht bei
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