Aus reiner Notwehr
würde ich sagen, ich habe nicht auf die Uhr gesehen.”
Pam war befremdet. “Warum nicht, Nick? Du bist vom Fach, ein Profi!”
“Aber nicht, wenn man einen guten Bekannten tot auffindet, Pam.”
Sie holte tief Luft und sah sich die Leiche genauer an. Deke war seitlich hinter dem Steuer zusammengesackt, und alles deutete in der Tat auf Selbstmord hin. Glücklicherweise hatte man den Toten nicht bewegt und keine eventuelle Spur verwischt. Eigentlich schien die weitere Vorgehensweise klar; sie hörte im Geiste die Stimme ihres Vaters.
Keine Vermutungen, Pam! Bei Verdacht auf Selbstmord – und ich betone das Wort “Verdacht” – gehst du am Tatort so vor, als hätte nicht der Tote, sondern eine zweite Person den Schuss abgegeben.
Sie wandte sich Kate Madison zu. “Haben Sie etwas angefasst?”
“Nur den Puls gefühlt. Sam auch, als er kam.” Sam nickte zur Bekräftigung.
“Ich auch”, meldete sich Nick. “Eine Formalität, Pam. Man konnte gleich erkennen, dass er schon eine ganze Weile tot war. Ach, noch eins – die Fernbedienung für das Garagentor klemmte hinter der Sonnenblende, Kate hat sie dort weggenommen …”
“Warum?”, unterbrach sie ihn. Er verstand nicht. “Warum ist nicht alles so gelassen worden, wie ihr es vorgefunden habt? Warum hast du nicht das Telefon im Haus benutzt?”
Kate mischte sich ein. “Es tut mir leid, Pamela. Ich habe nicht darüber nachgedacht.”
Pamela sah Nick kritisch an, nickte kurz und unterzog dann das Wageninnere einer genaueren Überprüfung. Die schlaffen Finger des Opfers hielten immer noch die Waffe. Sie gehörte eigentlich in einen Spurensicherungsbeutel – hätte sie doch einen Tatort-Koffer dabei! Das Auto musste innen und außen auf Fingerabdrücke überprüft werden, insbesondere die Türen, aber in ihrem Wagen befand sich nichts außer dem Funkgerät und dem Lunchpaket. Die Kollegen, die Escavez um diese Zeit nach einer langen Nachtschicht in Marsch setzen konnte, sehnten höchstwahrscheinlich den Feierabend herbei, waren nicht mehr besonders motiviert, müde, möglicherweise nachlässig. In ihren bisherigen zwei Dienstjahren hatte sie bereits unglaubliche Schlampereien erlebt, insbesondere in den frühen Morgenstunden am Ende der Nachtschicht. Lieber Himmel, wenn der Chief sie doch gewähren lassen würde! Aber immerhin konnte sie die Zeit vor dem Eintreffen der Kollegen nutzen!
Sie wandte sich von der Leiche ab, nahm ihr Notizbuch aus einem Halter am Koppel und suchte Amber, die mit verweinten Augen in einiger Entfernung vom Wagen stand, Stephen an ihrer Seite, beide schweigend, mit blassen und ausdruckslosen Gesichtern. Sie ging zu ihnen hin, um ihre Anteilnahme auszudrücken, und schickte sich an, Amber Fragen zu stellen, aber Nick ging dazwischen. “Meine Güte, Pam, nun aber mal langsam! Sie hat doch noch gar nicht richtig begriffen, was geschehen ist!”
Pam blieb ungerührt und ließ Amber nicht aus den Augen. “Soll ich noch etwas warten?”
Amber hielt ihrem Blick stand. “Nein, nein, es geht schon. Ich begreife nicht, warum er sich umgebracht haben soll. Nie hat etwas darauf hingedeutet, ich habe auch keinen Brief gefunden oder Ähnliches.”
“Wann haben Sie Ihren Mann zuletzt gesehen?”
Amber schaute Kate Hilfe suchend an. “Gestern Abend nach der Show, also etwa um elf Uhr dreißig. Stimmt doch, nicht wahr, Kate? Wir waren fertig, er wollte noch weiterfeiern, ich dagegen nicht, also fuhr ich mit meiner Freundin hierher und beschloss, bei ihr zu übernachten.”
“Tun Sie das öfter?”
“Während sie in Boston wohnte, ging das nicht. Aber früher, als wir Kinder waren, kam es ziemlich häufig vor.”
“Ich meinte, ob Sie öfter von Ihrem Mann getrennt schlafen, obwohl Sie zusammen bei Ihrem Vater zu Besuch sind.”
“Eigentlich nicht.”
“Und warum dann?”
“Weil er getrunken hatte.”
“War das ungewöhnlich?”
“Nein, er trinkt ziemlich regelmäßig.” Amber massierte sich die Stirn. “Oder besser trank – im Imperfekt. Er trank oft.”
“Und wenn er alkoholisiert war, schliefen Sie lieber getrennt?”
Amber lachte kurz und sarkastisch auf. “Möchten Sie etwa dauernd einen Betrunkenen neben sich liegen haben?”
Pamela kritzelte etwas in ihr Büchlein. “Hatte Ihr Mann Probleme? Hätte ihn vielleicht etwas zu einer solchen Tat treiben können?”
“Seine Quote ging runter.”
Pamela bemerkte, dass Nick genauso aufmerksam zuhörte wie sie selbst. “Steckte seine Talkshow in
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