Aus reiner Notwehr
Kuckuck? Da liegt er doch, Waffe noch in der Hand, die halbe Birne weggeschossen, Riesensauerei, das ganze Gehirn überall verteilt! Wenn das kein Selbstmord ist!”
“Chief, ich weise nur darauf hin, dass wir zunächst einmal die Spurensicherung abwarten sollten, bevor wir voreilige Schlüsse ziehen.”
“Wollen Sie mir vorschreiben, wie ich meine Ermittlungen zu führen habe, Missy?”
“Natürlich nicht, Sir, aber …”
“Nix aber!” Er schob sich näher an die Leiche heran, beugte sich etwas vor und sah sich an, was von Dekes Schädel übrig geblieben war. Dann stand er auf und räusperte sich vernehmlich. “Nach meinem Dafürhalten sieht das nach einer selbst zugefügten Schusswunde aus, Tatwaffe die 38er in seiner Hand. Howard, was meinen Sie?”
Sloan nickte eifrig. “Selbstmord, ganz eindeutig!”
Escavez drehte sich zu Pamela um. “Reicht Ihnen das, Missy?”
“Es hat den Anschein von Selbstmord, nicht mehr und nicht weniger”, entgegnete sie kühl und sachlich.
Escavez ignorierte die Bemerkung und gab den Rettungssanitätern grünes Licht für den Abtransport der Leiche. Doch da meldete sich Nick. “Augenblick, Chief! Officer LaRue hat recht. Auch bei offensichtlichem Selbstmord sehen die Vorschriften einwandfreie Spurensicherung vor, Tatwaffe, die Hände des Opfers, Fingerabdrücke und so weiter, um späteren Unstimmigkeiten vorzubeugen. Ich schlage außerdem Beschlagnahme des Fahrzeugs vor.”
Escavez’ Augen verengten sich zu schmalen Schlitzen. “Ich kann mich nicht erinnern, Sie um Beurteilungsvorschläge gebeten zu haben, Santana. Mag sein, dass Sie in New Orleans so ‘ne Art Kojak oder Columbo spielen, aber für mich sind Sie’n ganz normaler Bürger, und auf Ihren Rat kann ich verzichten. Sieht doch ein Blinder, dass Russo sich das Hirn weggepustet hat!”
Pamela holte tief Luft. “Verzeihen Sie, dass ich mich einmische, Chief, aber ich habe die Ehefrau des Toten befragt, und sie sagte zweifelsfrei aus, dass es keinerlei Hinweise auf einen bevorstehenden Suizid gab. Sie persönlich hält ihn im Übrigen für ausgeschlossen.”
Escavez’ Blick flackerte ungemütlich. “Sie meinen, es war Mord?”
Pamelas Geduld wurde auf eine harte Probe gestellt, doch sie riss sich zusammen. “Nein, Sir. Ich meine lediglich, dass wir erst nach sorgfältiger Sicherung und Prüfung der Spuren zu einem Schluss kommen sollten. Es liegt kein Abschiedsbrief vor. Nichts.”
Der Chief kratzte sich unschlüssig den Schädel, stieß einen Fluch aus und wandte sich an seinen Deputy. “Howard, machen Sie schon, rufen Sie in Gottes Namen die Gerichtsmedizin an. Sagen Sie denen, wir haben hier zwei Amateurdetektive, die ihren eigenen Augen nicht trauen wollen.”
Sloan warf Nick einen bitterbösen Blick zu. “Die gehen uns doch gar nichts an, Chief!”
“Weiß ich!” Escavez richtete sich in seiner ganzen imposanten Größe auf, rückte seinen Stetson gerade, zog den Bauch ein und drückte seinen mächtigen Brustkasten heraus. “Umso schöner ist es, wenn ich letzten Endes doch recht behalte.”
Bevor der Gerichtsmediziner eintraf, verging eine weitere halbe Stunde, in der Sloan und Pamela auf Geheiß des Chiefs Spuren am Tatort sicherten. Wie Pamela richtig vermutet hatte, blieb ihm durch die Personalknappheit beim Schichtwechsel keine andere Wahl. Missmutig kramte Sloan die kriminaltechnische Ausrüstung aus dem Kofferraum, während der Chief selbst sich der Tatwaffe bemächtigte und sie in einen verschließbaren Plastikbeutel steckte. Nick hielt sich in Höhe des Beifahrersitzes von Dekes Mercedes auf und konnte beobachten, wie Pamela der Leiche Papiertüten über die Hände streifte und sie mit Gummibändern sicherte. Sie trug Einweghandschuhe, arbeitete sorgfältig und machte sich die ganze Zeit über Notizen, ganz im Gegensatz zu Sloan, der mit bloßen Händen die Fußmatten absuchte und überhaupt nichts aufschrieb, eine Dummheit sondergleichen nach Nicks Auffassung. Ein Ermittler konnte ein noch so ausgefuchster Profi sein – auf sein Gedächtnis allein durfte er sich bei der Untersuchung des Tatorts nicht verlassen, erst recht nicht, wenn der Fall vors Gericht kommen sollte. Dieser Sloan war ein inkompetenter Hornochse.
Stephen stand plötzlich neben ihm. “Was passiert denn jetzt?”, fragte er, vermied es aber bewusst, die Leiche seines Vaters anzusehen. Nick zog ihn beiseite; er hatte bereits versucht, den Jungen zusammen mit Amber dazu zu bewegen, ins Haus zu gehen, aber er
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