Aus reiner Notwehr
gebeugt, die Hand um den Knöchel. “Wenn ich laufe, gehen mir die verrücktesten Gedanken durch den Kopf.”
“Die Psychologen sind bei diesem Thema geteilter Meinung, und zwar aus gutem Grund: Wenn beispielsweise ein verdrängter negativer Vorfall aus dem Unterbewusstsein abgerufen werden kann, bedeutet er möglicherweise für den Ruf, für die Persönlichkeit eines Menschen das Aus.”
“Mir geht’s um meinen Ruf – nicht um den von irgendeinem Menschen.”
“Wo also hat sich deiner Meinung nach dieser Vorfall abgespielt? Diese Geschichte mit der Waffe, dem Feuer, dem Geschrei, dem Brausen, diesem tobenden Geräusch?” Er fing das Handtuch auf, das ihr von der Schulter glitt; sie nahm es an sich und legte es sich um den Hals.
“Klingt mir sehr nach einem verdammt schlechten Film, den ich mal gesehen haben muss”, gab sie zurück.
“Kate, du mauerst. Du machst dir etwas vor.”
“War nur so ein Gedanke, wirklich.”
Er hob ihre Tasche auf und begleitete sie zu ihrem Wagen. “Wie geht’s Amber und Stephen?”
“So einigermaßen. Bisschen benommen, beide.” Am Wagen angelangt, stemmte sie beide Hände gegen die Seite des Autodaches und dehnte ihre Beinmuskulatur, während Sam, der sich gegen ihren BMW gelehnt hatte, ihr dabei zuschaute. “Und dir?”
“Ich bin wie vor den Kopf geschlagen und kann’s nicht fassen. Und jetzt muss ich auch noch die Trauerfeier organisieren und den gesamten Behördenkram erledigen. Leo steht viel zu sehr unter Schock, und Amber sollte nicht damit belastet werden. Allerdings kann es sein, dass sie nach der Beerdigung bereut, mir freie Hand gelassen zu haben.” Kate neigte sich mit gestreckten Armen aus der Hüfte tief nach vorn und berührte den Boden mit den Fingerspitzen, ihre hautengen Laufhosen spannten sich über der Rundung ihres Pos und ihrer Schenkel, ein Anblick, der ihm nicht entging. “Die Totenwache ist für morgen Abend angesetzt, und ich gelte nicht gerade als Expertin in puncto Geschmack und Stil. Frag nur meine Mutter!”
“Du stellst dein Licht unter den Scheffel, Kate. Du brauchst dich in der Beziehung hinter keiner Frau zu verstecken.”
Kate nahm ihr Stirnband ab, fuhr mit den Händen durchs Haar und strich es nach hinten. Er hielt noch ihre Tasche, und sie öffnete den Reißverschluss und kramte die Autoschlüssel heraus. “Was suchst du eigentlich hier?”
“Dich. Deiner Mutter war es nicht recht, dass du solo hier draußen herumrennst.”
Kate schüttelte den Kopf. “Tut mir leid, dass du dich herbemühen musstest, ich hätte mir denken können, dass Dekes Tod sie mitnimmt, obwohl sie ihn auch nicht mehr gemocht hat als ich. Aber heute hat sie Amber bemuttert wie eine Glucke ihr einziges Küken.”
“Eigentlich komisch – auf der einen Seite eine Hörerschaft, die gläubig an seinen Lippen hängt und ihn geradezu anhimmelt, und auf der anderen Seite seine nächste Umgebung, die ihn absolut nicht ausstehen konnte. Wie ihr zum Beispiel: du, deine Mutter, Leo, Nick, seine Frau, sogar sein Sohn. Und dabei handelt es sich nur um die, die wir kennen – was ist dann wohl mit denen, die uns unbekannt sind!”
Kate öffnete die Wagentür, stieg aber noch nicht ein. “Was meinst du denn – Mord oder Selbstmord?”
Nachdenklich kratzte er sich das Kinn. “Auf den ersten Blick sieht es wie Selbstmord aus, und die Autopsie wird erweisen, ob er Alkohol im Blut hatte. Wenn er volltrunken eingeschlafen ist, hätte ihn jeder mit Leichtigkeit umlegen und die Spuren beseitigen können, sodass es wie Suizid aussieht. Mir sind Schmauchspuren an seinem Kopf aufgefallen, der Schuss ist also aus nächster Nähe abgegeben worden.” Er stoppte und fügte nach ein paar Sekunden hinzu: “Schwer vorstellbar, dass jemand dabei still sitzen bleibt.” Er strich ihr eine Haarsträhne von der Wange. “Wollen wir das Thema Deke Russo nicht lieber beenden?”
Ihr Puls beschleunigte sich auf der Stelle; sie ignorierte es jedoch, nahm ihm die Sporttasche ab, öffnete die hintere Fahrgasttür, warf die Tasche auf den Sitz und knallte die Tür zu. “Soll mir recht sein.”
“Prima. Folgender Vorschlag: Du gehst unter die Dusche, ich warte so lange, und danach lade ich dich zum Essen ein, und bevor du ablehnst – möchtest du nicht auch für ein, zwei Stunden das Ganze einmal beiseite lassen? Wir speisen bei mir, meine Haushälterin soll uns etwas zubereiten; danach kannst du gleich hinüber zu deiner Mutter gehen. Du hast nur zwei Minuten bis nach
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