Aus vollem Herzen: Über das Geschenk des Lebens und die Kraft der Musik
Thorpe mit Mario Lanza in der Hauptrolle. Der Film hat mich tief beeindruckt und sicher dazu beigetragen, dass ich Sänger werden wollte. Ich habe ihn mir später noch einmal angesehen und dabei gemerkt, dass mir nicht nur die Musik zu Herzen gegangen war, sondern auch die Persönlichkeit des Hauptdarstellers. Sicherlich hat unbewusst auch der Glanz eine Rolle gespielt, der das Leben eines Künstlers umgibt, während er auf seinen Reisen um die ganze Welt den Beifall des Publikums einheimst und ihm die Herzen der Menschen zufliegen. Zwar wäre es übertrieben zu behaupten, ich hätte ab sofort den Wunsch verspürt, Opernsänger zu werden – in so jungen Jahren denkt man noch nicht an derlei Dinge –, doch bekam ich Lust zu singen und wollte Caruso sein. Zur großen Überraschung meiner Familie begann ich, Arien aus dem Film zu singen, die ich nie zuvor gehört hatte, wobei ich die Vortragsweise des Tenors nachahmte. Meine Eltern trauten ihren Ohren nicht, als sie mich »La donna è mobile« (O wie so trügerisch) aus Rigoletto sauber singen hörten. Ich muss das wohl ganz gut gemacht haben, denn ein Jahr später durfte ich diese Arie bei einem von den Ansagern Dalmau und Viñas moderierten Benefizprogramm von Radio Nacional vortragen. Davon besitzt meine Familie eine Aufnahme, die sie wie einen Schatz hütet – sie ist zugleich das älteste erhaltene Tondokument meiner Stimme. Damals sang gerade Mario del Monaco im Gran Teatre del Liceu den Othello in der gleichnamigen Verdi-Oper, und einer der Ansager der Sendung, der für seine lustigen Kommentare bekannt war, sagte, falls der Tenor krank werde oder aus irgendeinem Grund in seine Heimat zurückkehren müsse, brauche sich die Leitung des Opernhauses von Barcelona keine Sorgen zu machen, denn ich sei in dem Fall sicherlich der ideale Ersatz.
Etwas, das ich noch nie erzählt habe, ist, dass ich nach dem Caruso-Film mit Mario Lanza Die Veilchen der Kaiserin mit Carmen Sevilla und Luis Mariano gesehen habe. Er hat mir ausnehmend
gut gefallen, und ich muss sagen, dass ich Luis Mariano immer für einen großartigen Sänger mit einer herrlichen Stimme gehalten habe, auch wenn er leicht manieriert sang. Einige der Lieder daraus habe ich damals unverzüglich in mein improvisiertes »Repertoire« aufgenommen und zweifle nicht im Geringsten daran, dass dieser Film meine Liebe zur Musik noch bestärkt hat.
Nach jenen Kinoerlebnissen sang der kleine José, wo er ging und stand, auch im Friseursalon der Mutter. Dort bekam er Trinkgeld von den Kundinnen, die sein Gesang ebenso begeisterte, wie die Ungezwungenheit seines Vortrags sie verblüffte. Zu seinen frühen Bewunderinnen gehörte eine Señora Cortés, die ihm ein Fünf-Peseten-Stück schenkte, damals ein kleines Vermögen, und ihn um neue Lieder bat, die gerade in Mode waren, woraufhin er diese bis zu ihrem nächsten Besuch im Salon lernte. Obwohl er eine gute Stimme hatte, ging er der Familie im Laufe der Zeit mit seinem fortwährenden Singen auf die Nerven, denn sogar auf der Toilette oder im Badezimmer gab er endlos lange Caruso-Arien oder Lieder von Luis Mariano zum Besten. Als er sich viele Jahre später von seiner Knochenmarktransplantation erholte, schickte man ihm ein Exemplar seiner jüngsten Aufnahme, bei der er zusammen mit der aus Neuseeland stammenden Sopranistin Kiri Te Kanawa in Puccinis Manon Lescaut sang. Er wollte unbedingt seine Stimme erproben, obwohl das von den Ärzten verhängte Gesangsverbot noch nicht aufgehoben war, und so schloss er sich, nachdem er sich die Platte angehört hatte, wie früher als kleiner Junge im Bad ein und begann zu singen: »Cortese damigella, il priego mio accettate: dican le dolci labbra come vi chiamate« (Liebenswürdige, gewährt mir eine Bitte, wie heißt Ihr?), gerade genug, um sich zu vergewissern, dass seine Stimme unter der Behandlung nicht gelitten hatte.
Einige Jahre hindurch sang er nichts lieber als die Arie des Herzogs von Mantua aus Rigoletto und kramte, wenn er allein in der Wohnung war, Kleidungsstücke und Hüte aus den Schränken heraus, um sich zu kostümieren und »La donna è mobile« zu singen. Da er dieses Stück auch auf dem Schulhof immer wieder zum Besten gab, dauerte es nicht lange, bis ihm die Kameraden den Spitznamen Rigoletto anhängten.
Meine Eltern waren Musikliebhaber, auch wenn es sich damals eine Familie wie die unsere nicht leisten konnte, das wenige Ersparte für Opernbesuche auszugeben. Auf jeden Fall hat mein Großvater
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