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Aus vollem Herzen: Über das Geschenk des Lebens und die Kraft der Musik

Aus vollem Herzen: Über das Geschenk des Lebens und die Kraft der Musik

Titel: Aus vollem Herzen: Über das Geschenk des Lebens und die Kraft der Musik Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: José Carreras
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hatte, blieb ihm nicht viel anderes übrig, als gute Miene dazu zu machen und sich damit abzufinden, dass auch das zu seiner Arbeit gehörte.

    Zu dieser Zeit musste ich eine für mich neue Oper ins Repertoire aufnehmen, nämlich Donizettis Caterina Cornaro, die in der Londoner Royal Festival Hall konzertant aufgeführt wurde. Mit diesem Auftritt war für mich einer der bewegendsten Augenblicke meiner Laufbahn verbunden, denn ich sollte für Giacomo Aragall einspringen, den eine Erkrankung daran hinderte, seinen Vertrag zu erfüllen. Zehn Jahre zuvor hatte ich mich entschieden, Unterricht bei Maestro Puig zu nehmen, weil er der Gesangslehrer Aragalls gewesen war, der in Italien mit seiner von mir so bewunderten Stimme Triumphe zu feiern begann. Kaum ein Jahrzehnt später bat mich die Leitung eines hoch angesehenen Festivals, ihn auf der Bühne zu vertreten. Ich kannte weder das Werk noch die Rolle, zögerte aber keinen Augenblick, mich der Herausforderung zu stellen, obwohl mir für die Vorbereitung kaum eineinhalb Tage blieben. Ich war das reinste Nervenbündel, als ich neben Montserrat Caballé, die mich
kräftig ermunterte, den Gerardo sang. Mit dem Ergebnis waren alle zufrieden, vor allem aber das Publikum, das uns zujubelte und mich zusammen mit der Sopranistin immer wieder herausklatschte.

    Die chemische Industrie hatte einen Kosmetikfachmann verloren, aber die Welt der Oper einen neuen Star gewonnen.

6.
Fünfundzwanzig Jahre und dreihundert gemeinsame Auftritte mit Montserrat Caballé
    W ann immer José Carreras von der Sopranistin Montserrat Caballé spricht, tut er das mit einer über das übliche Maß hinausgehenden Wärme, Bewunderung und Achtung. Zum ersten Mal sind sie im Jahr 1970 im Liceu von Barcelona in Norma gemeinsam aufgetreten, und zum letzten Mal 1995 bei einem Konzert in der Osloer Mehrzweckarena Spektrum. In diesen fünfundzwanzig Jahren haben sie dreihundertmal gemeinsam auf der Bühne gestanden. Die Sopranistin war zu Anfang seiner Karriere die »gute Fee« des rund fünfzehn Jahre jüngeren Tenors, dessen künstlerische Qualitäten sie sogleich erkannt hatte. Gemeinsam bildeten die beiden im Laufe der Zeit eines der berühmtesten Sängerpaare, dem ganze Heerscharen von Anhängern überallhin nachreisten.

    Montserrat ist in allem einzigartig. Nie habe ich vergessen, dass sie mir in meinen Anfängen geholfen hat, denn mit dieser Großzügigkeit hat sie entscheidend dazu beigetragen, mir den Weg in der Welt der Oper zu bahnen. Maria Callas sang nicht mehr, und als ich Montserrat kennenlernte, war sie unbestritten die Nummer eins auf der Welt. Ihr Glaube an mich hat mich in meiner Entschlossenheit bestärkt. Wenn ich diese Sängerin beschreiben müsste, würde ich mit ihrer unverbrüchlichen Liebe zur Musik beginnen. Sie strebt unaufhörlich danach, mehr zu wissen, sich stets zu verbessern. Mitunter wirkt sie explosiv, und sie kann bisweilen auch hochmütig erscheinen – sie ist eben eine Diva. Aber vor allem ist sie ein gutherziger, großzügiger und hingebungsvoller Mensch. Ich bin nie mit ihr aneinandergeraten, obwohl wir unzählige Male gemeinsam aufgetreten sind und eine Unmenge Schallplattenaufnahmen
miteinander gemacht haben. Sie war für mich wie eine ältere Schwester. Der Grund dafür, dass ich mich wirklich nie mit ihr gestritten habe, hat vielleicht mit einem Rat zu tun, den mir ein Regisseur in den Vereinigten Staaten gegeben hat und den ich bedingungslos befolgt habe: »Never argue with a soprano!« (Leg dich nie mit einem Sopran an.)

    Carreras war sich des großen Vertrauens, das sie in ihn gesetzt hatte, jederzeit vollständig bewusst. Bei der Vorbereitung der ersten Oper, in der sie gemeinsam sangen – es war die Zeit, da er die Diva noch mit Sie anredete – , sagte er zu ihr: »Das Einzige, was ich Ihnen sagen kann, ist, dass ich mich bemühen werde, es so gut wie möglich zu machen«, worauf sie zurückgab: »Das versteht sich ja wohl von selbst …« Daraufhin verließ er ein wenig verstimmt ihre Garderobe. Carreras gesteht, dass ihn die Persönlichkeit der Sopranistin anfangs nahezu ebenso sehr eingeschüchtert wie fasziniert hat. Zugleich verweist er darauf, und das erfüllt ihn mit Stolz, dass er nie die geringsten Schwierigkeiten mit ihr hatte. Ganz im Gegenteil war sie bei der Arbeit auf der Bühne eine stets verlässliche Partnerin. »Wenn ich bei einer Probe oder einem Auftritt eine Schwierigkeit hatte, hat sie mich unterstützt, und ich habe meinerseits

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