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Aus vollem Herzen: Über das Geschenk des Lebens und die Kraft der Musik

Aus vollem Herzen: Über das Geschenk des Lebens und die Kraft der Musik

Titel: Aus vollem Herzen: Über das Geschenk des Lebens und die Kraft der Musik Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: José Carreras
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besseren Beistand geben können als das Vertrauen dieser Sängerin. Bei einem Anfänger wie mir genügte ihre Unterstützung, um die Aufmerksamkeit der Medien zu wecken.

    Auf Norma folgte für Carreras die Rolle des Ismael in Verdis Nabucco, den Giuseppe de Tomasi inszeniert hatte. Auch dieser ermutigte ihn, sich für den Wettbewerb junger Opernsänger in Verdis Heimatstadt Busseto anzumelden, was ihm einen ersten Kontakt mit Italien vermitteln würde. Außerdem meinte er, Carreras habe gute Aussichten zu gewinnen. Sollte das aber nicht der Fall sein, wäre es für ihn »eine gute Erfahrung«. Eine noch größere Verlockung als die fünfzigtausend Lire, mit denen der erste Preis dotiert war, bildete die damit verbundene Zusage, dass der Gewinner im folgenden Jahr im Teatro Regio von Parma auftreten durfte, einem der bedeutendsten Opernhäuser Italiens.
    Im Dezember 1970 sang Carreras in der Donizetti-Oper Lucrezia Borgia die Hauptrolle des Gennaro. Für das Publikum von Barcelona war dies Werk von besonderem Interesse, zum einen, weil es im Liceu ein halbes Jahrhundert lang nicht aufgeführt worden war, zum anderen aber, weil Montserrat
Caballé damit fünf Jahre zuvor buchstäblich über Nacht berühmt geworden war, als sie an der New Yorker Carnegie Hall für Marilyn Horne als Lucrezia eingesprungen war. Die Gestalt des Gennaro gestattete es Carreras, alle Register seiner Stimme zu ziehen. Bei der Handlung geht es darum, dass sich Gennaro in Lucrezia verliebt, ohne zu wissen, dass sie seine Mutter ist. In einem Fernsehinterview sagte Montserrat Caballé in diesem Zusammenhang, als Mutter habe sie sich keinen besseren Sohn als Carreras wünschen können. Das Publikum muss wohl ähnlich empfunden haben, denn es bejubelte beide – die Sopranistin wegen ihrer alljährlichen Rückkehr auf die Bühne von Barcelona und den jungen und eleganten Tenor wegen seiner Stimme, die manche, wie sich der Kritiker Roger Alier erinnert, mit der Giacomo Aragalls verglichen. Entscheidend aber war dieser Erfolg, wie der Kritiker angemerkt hat, für Carreras, weil sich dieser gerade daranmachte, in die Welt der Oper einzutreten. So heißt es bei Alier: »Barcelonas Opernfreunde konnten sich in den Siebzigerjahren über einen weiteren Sänger von internationaler Bedeutung freuen: José Carreras.«
    Kurz vor seinem Aufbruch nach Busseto trat Carreras in London in einem der großen Erfolge Montserrat Caballés auf, der Donizetti-Oper Maria Stuart . Darin verkörperte er den Grafen Leicester, der Königin Elisabeths Zorn dadurch erregt, dass er ihr Maria Stuart vorzieht. Obwohl die Rolle des Tenors weniger bedeutend war als die des Soprans und des Mezzosoprans, merkte die Fachkritik auf. Alan Blyth von der angesehenen Zeitschrift Opera fand für Carreras äußerst lobende Worte und verglich ihn wegen seiner »italienisch« wirkenden Stimme mit Aragall. All das machte Carreras noch mehr Mut, sich dem Wettbewerb in Busseto zu stellen.

    Zwar findet der Wettbewerb unter dem Namen Verdis statt – Voci Verdiane –, doch bedeutet das nicht, dass die Teilnehmer ausschließlich Partien aus dessen Werken singen müssen. Im Sommer 1971 gab es unter uns Kandidaten eine Vorauswahl. Dabei sang ich die Arie des Rodolfo aus Verdis Luisa Miller sowie die »Blumenarie« des José aus Bizets Carmen . Das Publikum, das mich beeindruckte, weil es so anspruchsvoll war, hat sich mir gegenüber ausgesprochen
herzlich verhalten. Da auch die Jury meine Darbietung für einwandfrei hielt, wurde ich zur Endausscheidung zugelassen, die im Oktober stattfand, knapp drei Monate nach den Vorausscheidungen. In der letzten Runde trat ich mit der Arie des Riccardo aus dem Schlussakt von Ein Maskenball an und gewann. Zuvor aber kam es zu einem für mich geradezu magischen Augenblick, als ich erfuhr, dass Giuseppe Di Stefano aus Mailand kommen werde, um die Teilnehmer an der Endausscheidung zu begrüßen. Davon habe ich bereits anfangs berichtet. Di Stefano verfolgte die Endausscheidung aus einer Loge nahe der Bühne, sodass es mir vergleichsweise leichtfiel, an seinem wechselnden Gesichtsausdruck zu erkennen, was er jeweils empfand. Als man mich zum Gewinner erklärt hatte, kam er auf mich zu, um mich zu beglückwünschen, und fragte mich dabei, ob ich möglicherweise die eine oder andere seiner Platten gehört hätte.
    Bestandteil des ersten Preises im Wettbewerb war, dass ich im folgenden Jahr in zwei Aufführungen in Parma singen durfte: den Rodolfo in La Bohème an der

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