Aus vollem Herzen: Über das Geschenk des Lebens und die Kraft der Musik
Oper bereit sei, weil sie sicherlich etwas gemeinsam auf die Beine stellen könnten, hatte José Carreras begriffen, dass Carlos für seinen Werdegang eine entscheidende Rolle spielen könnte, und so kam es dann auch.
Im Leben von Carlos Caballé und José Carreras gab es Gemeinsamkeiten: Beide stammen aus Vororten von Barcelona, beider Eltern hatten auszuwandern versucht und schwer arbeiten müssen, um den Unterhalt für ihre Familie zu verdienen, und beim Erfolg beider hatte die Intuition eine entscheidende Rolle gespielt. Im Laufe der Zeit entstand zwischen ihnen eine tiefe Freundschaft, die über die berufliche Beziehung hinausging. So feierten sie außer künstlerischen Erfolgen auch private Feste miteinander und sahen einander häufig, nicht nur, wenn es galt, Verträge zu unterschreiben, sondern auch zu gemeinsamen Abendmahlzeiten. Gegenseitiges
Vertrauen, Wertschätzung und Respekt waren die Grundlage einer gelungenen Beziehung, aus der beide neben finanziellen Vorteilen auch persönliche Anregungen gewannen.
Carlos ist ein ungewöhnlich sympathischer, herzlicher und kluger Mensch. Nicht nur spricht er sieben Sprachen, er hat auch einen ausgesprochen wachen Geist und kann sehr schnell handeln. Ich habe immer zu ihm gesagt: »Wenn sich andere auf den Weg machen, bist du schon wieder zurück.« Außerdem besitzt er über das übliche Maß hinausgehende Kenntnisse auf dem Gebiet der Musik und insbesondere der Oper. Nur wenige Agenten wissen genau, welche Anforderungen eine bestimmte Partie stellt und ob ein Werk besser oder weniger gut zu den stimmlichen Möglichkeiten eines Sängers passt. Unsere Beziehung hat ohne Unterbrechung ein volles Vierteljahrhundert hindurch angedauert, sich aber im Laufe der Neunzigerjahre nach und nach aufgelöst. Das fiel damit zusammen, dass Plácido Domingo, Luciano Pavarotti und ich uns zu den Drei Tenören zusammengeschlossen haben. Dabei ist es nicht zu einem schmerzlichen Bruch gekommen, wohl aber zu einer allmählichen Ablösung, wozu eine Reihe von Umständen beigetragen hat. Zu einer bestimmten Zeit im Jahre 1995 war ich der Ansicht, er hätte bei einigen meiner Auftritte an der Mailänder Scala an meiner Seite sein sollen. Aus gewissen Gründen war er dazu nicht in der Lage, und ich begriff, dass wir das Ende einer Phase erreicht hatten. Daher beschlossen wir, die berufliche Beziehung zu lösen, was sich unmittelbar auf das persönliche Verhältnis ausgewirkt hat.
Von diesem Augenblick an haben wir einander nicht mehr besucht und auch nicht mehr getroffen, ohne dass es zwischen uns zu einer Missstimmung gekommen wäre. Damit hat auch die Beziehung zu Montserrat Caballé an Intensität verloren, doch sind wir einander gelegentlich noch begegnet. Auf jeden Fall möchte ich betonen, dass ich Carlos in guter Erinnerung behalte, und ich muss zugeben, dass er für die ersten Jahre meiner Laufbahn von entscheidender
Bedeutung war. Uns ist es ähnlich ergangen wie manchen Ehepaaren, deren Beziehung sich nach vielen Jahren des Zusammenlebens abschwächt, bis sie eines Tages merken, dass sie einander nichts mehr zu sagen haben, und sich schließlich trennen. Zwar schmerzen solche Dinge, doch muss man sie hinnehmen und die vielen schönen Augenblicke, die man im Laufe so vieler Jahre miteinander erlebt hat, in guter Erinnerung behalten. Ich denke, es gibt allen Grund, dafür dankbar zu sein.
7.
Der Traum, in New York zu singen, und das Erwachen als Cavaradossi an der Metropolitan Opera
A us Francos Spanien nach Nixons Amerika. Die Maschine der Pan Am brachte José Carreras in wenigen Stunden aus einem Land, dessen greiser Diktator sich hartnäckig weigerte, die Macht aus den Händen zu geben, in ein anderes, dessen republikanischer Präsident gerade seine Wiederwahl betrieb. Nelly Walter, die für Columbia Artists tätige Talentsucherin, die mit Carlos Caballé zusammenarbeitete und in der Welt der Oper eine Institution war, hatte Carreras in Europa singen hören und wollte ausprobieren, wie das Publikum der New Yorker City Opera auf das vielversprechende junge Talent reagieren würde. Als er auf dem John-F.-Kennedy-Flughafen landete, sah das Ganze für ihn nicht nach einem guten Geschäft aus, denn sein Vertrag, der einen einzigen Auftritt in Madame Butterfly vorsah, in der er nie zuvor gesungen hatte, sicherte ihm lediglich ein Honorar von zweihundertfünfzig Dollar zu, wobei er für die Hotelkosten selbst aufkommen musste. Doch die Sache entwickelte sich durchaus positiv,
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