Aus vollem Herzen: Über das Geschenk des Lebens und die Kraft der Musik
miteinander gesungen haben und an die ich mich am liebsten erinnere, gehört Francesco Cileas Adriana Lecouvreur , deren Heldin die französische Schauspielerin Adrienne Lecouvreur ist. Sie wurde von Montserrat gesungen, während meine Rolle die ihres Liebhabers Graf Moritz von Sachsen war. Diese Partie hatte bei der Uraufführung des Werks Enrico Caruso verkörpert. Mit Adriana Lecouvreur hat das Liceu die Spielzeit im November 1972 eröffnet, was damals besonders wichtig war, da der Leiter des Opernhauses von Barcelona den Beginn so glänzend wie möglich gestalten wollte. Daher war es für Pàmias durchaus ein Wagnis, mich mit der Rolle zu betrauen. Für mich hingegen war es eine einzigartige Gelegenheit, die ich auch zu nutzen verstand, denn an diesem Abend schloss mich das sachkundige Publikum der Stadt in sein Herz.
Zweifellos gab der Beginn der Spielzeit 1972/73 an der Seite von Montserrat Caballé der Laufbahn des José Carreras einen ganz entscheidenden Schub. Die Eröffnungsvorstellung am Liceu war ein magischer Augenblick, der unter den katalanischen Opernfreunden große Erwartungen weckte, ganz besonders, weil ihr zur Feier des 125-jährigen Bestehens jenes Opernhauses der damalige »Prinz von Spanien« Juan Carlos mit seiner Gattin Sofía sowie mehrere Minister des Franco-Regimes beiwohnten. Weil damals für die verschiedenen Serien des Abonnements die wichtigsten Werke vier-und nicht, wie sonst üblich, nur dreimal aufgeführt wurden, kam Adriana Lecouvreur zwischen dem 7. und 19. November viermal auf die Bühne. Kurz vor der ersten Aufführung ließ sich der Leiter des Opernhauses im Foyer mit den beiden Hauptdarstellern im Kostüm der Adriana und des Grafen Moritz von Sachsen fotografieren. Auf dem Foto sieht man ihn im sicheren Bewusstsein, dass es ein bedeutender Abend werden würde, zufrieden lächeln. Die Rolle des Grafen Moritz ist musikalisch reizvoll, mit Passagen voll intensiver Gemütsbewegung wie beispielsweise der Arie »La dolcissima effigie« (Dies allerliebste Bild) im ersten Akt mit ihrer herrlichen Melodie. Das Publikum bewunderte Carreras, und alle Abonnenten hatten Gelegenheit, sich am Talent des Tenors zu erfreuen, der von jenem Zeitpunkt an so oft wie möglich im Liceu auftrat, zugleich aber auch von überallher aus dem Ausland Angebote bekam, wohin der Ruf von seiner glänzenden Stimme mit ihrer unverwechselbaren Klangfarbe gedrungen war.
Der Erfolg von Adriana Lecouvreur wiederholte sich später an anderen Orten, denn es gab in den nachfolgenden Monaten so manche Gelegenheit, die Oper erneut aufzuführen, so in New York, Tokio und London, dort aber konzertant. Wenn eine dieser Aufführungen etwas ganz Besonderes war, dann die in der japanischen Hauptstadt, wo vermutlich nie ein Sopran so mit mir gesungen hat wie Montserrat bei dieser Gelegenheit. Sie war einfach brillant, und es war bewegend, sie auf der Bühne zu hören. An diesem Abend kam es außerdem zu einem pikanten Zwischenfall. Beim Liebesduett zwischen dem Grafen und Adriana im ersten Akt trug ich eine prächtige Uniform und sie, da die Szene die Schauspielerin auf der
Bühne zeigt, ein tief ausgeschnittenes Kleid, einen Turban und viel Schmuck, darunter ungewöhnlich große Ohrgehänge. Bei einer der Umarmungen, die das Libretto verlangt, merkte ich, dass ein Ohrgehänge sich gelöst hatte und ihr in den Ausschnitt glitt. Wenige Augenblicke später nutzte ich eine weitere stürmische Umarmung dazu, es mit ebenso viel Takt wie Schamgefühl herauszufischen und ihr unauffällig in die Hand zu drücken. Ganz natürlich und ohne auch nur einen einzigen Ton auszulassen, befestigte sie das Schmuckstück wieder am Ohr. Es war einer jener Augenblicke, der nie und nimmer auch nur annähernd so natürlich herausgekommen wäre, wenn man ihn wochenlang einstudiert hätte. Es gibt eine Aufzeichnung des japanischen Fernsehens, auf der diesen Zwischenfall erkennen kann, wer genau hinsieht.
Die Beziehung zwischen José Carreras und Montserrat Caballé war in der Tat so eng, dass er fast zum Mitglied der Familie wurde. Gelegentlich ist er zum Essen geblieben, wenn er gekommen war, um eine Oper vorzubereiten, Repertoirefragen zu besprechen oder zu erkunden, bei welchen Werken sie gemeinsam auftreten könnten. Jahrzehntelang war wie gesagt der Bruder der Sopranistin, Carlos Caballé, auch sein Agent. Schon an dem Tag, an dem er ihn zufällig bei Maestro Puig gehört und ihm gesagt hatte, er solle sich bei ihm melden, wenn er für die
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