Aus vollem Herzen: Über das Geschenk des Lebens und die Kraft der Musik
eine Zigarre. Neben ihm saß Luis Andreu, einer seiner engsten Mitarbeiter, der ihm zwanzig Jahre später im Amt nachfolgen sollte. Auf der Bühne befand sich außer dem jungen Carreras, der bestrebt war, sein Bestes zu geben, lediglich ein Pianist, um ihn zu begleiten. Das Vorsingen hätte nicht besser ausfallen können: Nachdem Pàmias einige Sekunden lang mit seinem Mitarbeiter geflüsterte Bemerkungen ausgetauscht hatte, beglückwünschte er Carreras nicht nur, sondern bot ihm auch gleich die Teilnahme an einem Großereignis jener Spielzeit an, nämlich der Neuinszenierung von Bellinis Norma an der Seite von Montserrat Caballé, die bei dieser Gelegenheit zum ersten Mal die Titelrolle singen sollte. Außerdem sollten Fiorenza Cossotto und Mario del Monaco auftreten. Für Carreras hatte er die Rolle des Flavio vorgesehen und übergab ihm die Partitur zum Studium mit der Bitte, ihm in einer Woche mitzuteilen, ob er sich ihr gewachsen fühle. Zwar ist Flavio eine Nebenrolle, doch war es Carreras bewusst, dass er gegenüber den Hauptdarstellern nicht abfallen durfte. Ihm war sofort klar, dass er das Angebot annehmen würde, denn es handelte sich um eine einmalige Gelegenheit, die ihm darüber hinaus die Türen zu einem nächsten Engagement öffnen konnte. Ganz beiläufig fragte ihn Pàmias, dem ein Tenor für Verdis Nabucco fehlte, ob sich Carreras diese Aufgabe zutraue, falls er sie ihm übertrage.
Selbstverständlich habe ich die mir angebotene Rolle in Norma angenommen, denn das war eine gute Gelegenheit für meinen Durchbruch. Diesmal würde ich als Erwachsener auf die Bühne des Liceu treten. Ich unterschrieb meinen ersten Vertrag als Berufssänger, um den Vertrauten des Hauptdarstellers zu verkörpern, des römischen Prokonsuls und Statthalters der Provinz Gallien. Die Figur des Flavio tritt überwiegend im ersten Akt auf, denn im zweiten beschränken sich seine Aufgaben darauf, sich für die Befehle seines Vorgesetzten bereitzuhalten, der ihm dann mitteilt, er könne gehen.
Ich trat in der Uniform eines römischen Zenturionen auf die Bühne, was immer ein wenig einschüchternd wirkt. Ich war sehr stolz darauf, dass meine gesamte Familie anwesend war und mich genauestens beobachten würde, und außer Großvater, Vater und Geschwistern waren auch meine Freunde gekommen, um mich zu sehen und zu hören. Mir war klar, dass ich sie auf keinen Fall enttäuschen durfte. Da sich mein sonst stets überpünktlicher Vater an diesem Abend verspätete, bekam er lediglich den zweiten Akt mit, in dem ich mich darauf beschränken musste, militärisch zu grüßen. Die Premiere war ein Erfolg, obwohl Mario del Monaco im letzten Augenblick durch Bruno Prevedi ersetzt werden musste. Dem Publikum gefiel die Oper ausnehmend gut, und es klatschte begeistert, aber auch die Kritik erging sich in Lobeshymnen. Ich blieb keineswegs unbemerkt, denn mehrere Fachleute äußerten sich anerkennend über meine Stimme und sagten mir eine große Zukunft auf der Opernbühne voraus.
Für meinen Auftritt in Norma im Januar 1970 bekam ich fünfhundert Peseten, ganz wie zwölf Jahre zuvor für meine Rolle in Meister Pedros Puppenspiel. Zwar reichte der Betrag kaum aus, um die Fahrt zum Theater zu bezahlen, doch gab mir dies Engagement nicht nur die Möglichkeit, bekannt zu werden, sondern auch Montserrat Caballé und ihr Bruder und Manager Carlos, den ich in der Gesangsakademie von Maestro Puig kennengelernt hatte, wurden auf mich aufmerksam. Carlos hatte mir damals, nachdem
er mich gehört hatte, gesagt, ich solle mich unbedingt bei ihm melden, wenn ich so weit sei. Die Norma -Premiere war der Anfang einer großartigen Freundschaft mit Montserrat Caballé und der eigentliche Beginn meiner Karriere. Meine Stimme und auch die Art, die Rolle darzustellen, hatten der Sopranistin zugesagt, und so wurde sie meine gute Fee und teilte schließlich dem Direktor des Liceu mit, dass sie mich bei ihrer nächsten Premiere als Partner wünsche. So mancher hat sich kritisch darüber geäußert, dass sie mich unter ihre Fittiche genommen hat, doch bedeutete das für mich keineswegs einen Freibrief. Wenn ich gescheitert wäre, hätte mir noch so viel Protektion nichts genützt, und meine Karriere wäre zu Ende gewesen, bevor sie richtig angefangen hatte. Zwar war die Aussicht, bei der nächsten Oper an ihrer Seite zu singen, durchaus außergewöhnlich, doch bedeutete es für mich zugleich eine große Verpflichtung.
Zu dieser Zeit hätte es für mich keinen
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