Aus vollem Herzen: Über das Geschenk des Lebens und die Kraft der Musik
denn anschließend bot man ihm einen Vertrag für mehrere Vorstellungen in Opernproduktionen der Spielzeit 1972/73 sowie des darauf folgenden Jahres an.
Auch wenn das Honorar für jenen ersten New Yorker Auftritt kaum seine Aufenthaltskosten decken konnte, erwies sich der Vertrag für die Spielzeit 1972/73 als der einträglichste von allen, die er bis dahin unterschrieben hatte. Die New Yorker City Opera, die im Lincoln Center ganz in der Nähe der Metropolitan Opera beheimatet ist – als wolle sie darauf hinweisen, dass sie das Eingangstor zu jenem bedeutenden Musentempel von Manhattan ist –, bot ihm eine einzigartige Gelegenheit. Es war Carreras durchaus bewusst, wie entscheidend es für ihn war, in der »Hauptstadt der Welt« singen zu dürfen, denn nirgendwo in den Vereinigten Staaten gab es
eine bessere Möglichkeit, seine Stimme bekannt zu machen. Zugleich bot sich ihm damit auch die Chance, sich bei einem Publikum einzuführen, das anders war als das in Europa. Das New Yorker Abenteuer bedeutete für ihn einen weiteren Schritt nach vorn, war der erste wirklich internationale seiner Laufbahn. Es machte durchaus einen Unterschied, ob man sein erstes »richtiges« Geld an irgendeinem Provinztheater verdiente oder auf der Bühne einer der großen Metropolen der Welt. Dazu gehörte auch die Gelegenheit, in erstklassigen Produktionen mit einem guten Orchester an der Seite berühmter Sängerkollegen aufzutreten und von den bedeutendsten Kritikern gehört zu werden. Das und die Zusammenarbeit mit anderen Managern trugen dazu bei, dass er viel lernte und künstlerisch rasche Fortschritte machte.
New York war für mich ein Traum, aus dem ich als etablierter Tenor erwachte, auf dessen Tisch sich die Verträge häuften. Die City Opera war ein großartiger Ausgangspunkt. Dort erfuhr ich, was ein Opernrepertoire wirklich bedeutet. Zum ersten Mal sang ich dort den Pinkerton in Madame Butterfly und den Cavaradossi in Tosca. Schon wenige Monate später sah ich mich mit erst siebenundzwanzig Jahren in der privilegierten Situation, aus einer Fülle von Angeboten auswählen zu können. Ohne dass mir das richtig zu Bewusstsein kam, öffneten sich die Türen der großen Opernhäuser der Welt, jener Traumbühnen, die jeder junge Sänger eines Tages zu betreten hofft.
Die Eröffnung der Spielzeit 1974 der City Opera – inzwischen hatte ich bereits für eine Tosca an der Metropolitan Opera unterschrieben – gab mir die Möglichkeit, den Sir Edgar aus Donizettis Lucia di Lammermoor zu singen, und zwar zusammen mit Beverly Sills, die von der Zeitschrift Time als »amerikanische Opernkönigin« bezeichnet worden war. Am nächsten Tag äußerte sich der berühmteste Kritiker des Landes, Harold Charles Schonberg, in der New York Times anerkennend über meinen Auftritt und beendete seinen Artikel mit dem Satz »Mr. Carreras is really something«, also in etwa: Herr Carreras ist wirklich bemerkenswert.
Diese Kritik sorgte dafür, dass sich auch andere Häuser für mich interessierten, was die Erwartungen an meinen ersten Auftritt an der Met zwei Monate später noch steigerte. Dort sollte ich am 18. November 1974 die Rolle in Tosca verkörpern, die ich im selben Sommer mit dem Ensemble der New Yorker City Opera in Los Angeles an der Seite der großen Birgit Nilsson gesungen hatte. Sie war fast dreißig Jahre älter als ich und nannte mich liebevoll »my baby Cavaradossi«. Diesmal war die amerikanische Sopranistin Rachel Mathes meine Partnerin, eine glänzende Sängerin, die sich schon bald darauf aus der aktiven Laufbahn zurückzog, um sich dem Gesangsunterricht zu widmen.
Nach Carreras’ ersten Auftritten in New York wurden auch die Plattenfirmen auf seine Stimme aufmerksam. Die erste, die ihm das Angebot machte, eine LP herauszubringen, war Vanguard Classics. Sie schlug ihm Rossinis komische Oper La pietra del paragone (Der Prüfstein der Liebe, auch: Die Liebesprobe) vor, die seither nicht wieder eingespielt worden ist. Er nahm an, und die Art, wie er die Arie im zweiten Akt »Oh, come il fosco, impetuoso nembo« (O, wie uns die dunkle Sturmeswolke trennt) singt, beweist, welche Reife seine Stimme inzwischen erreicht hatte. Da auch anderen Plattenfirmen nicht entgangen war, wie brillant, voll Gefühl und Hingabe er die Rolle interpretierte, gab es bald eine neue Aufnahme, diesmal beim angesehenen holländischen Label Philips, die den Grundstein für eine lange Reihe weiterer Einspielungen legte.
Ich habe noch oft in New York
Weitere Kostenlose Bücher